1573 - Blick in die Zeit
aus man über die eigene Existenz und deren unausweichliches Ende nachdachte.
War man jung, dann sah man den Tod normalerweise noch in weiter Ferne. Aus der Distanz wirkte er viel harmloser als ein paar Jahrzehnte später, wenn man allmählich zu begreifen begann, daß kein Weg an ihm vorbeiführte.
Sie würde es ablehnen, erkannte Nermo Dhelim, als er ihr so gegenüber stand. Sie würde die Unsterblichkeit nicht wollen.
Er war sich seiner Sache so sicher, als hätten sie bereits darüber gesprochen. Und gleichzeitig wurde ihm bewußt, wie sehr er seine Tochter liebte.
Nermo Dhelim erinnerte sich an das Versprechen, das er gegeben hatte: Er wollte diejenigen, die die Zellaktivatoren erhalten sollten, mit größter Sorgfalt aussuchen und nur solche Personen auswählen, die dieses Geschenk auch wirklich verdienten und von denen zu erwarten war, daß sie sich auf Lebenszeit für die Belange des lemurischen Volkes einsetzen würden.
Ich werde dieses Versprechen nicht brechen, schwor er sich selbst. Aber Ermigoa ist das einzige lebende Wesen, bei dem ich es nicht ertragen könnte, es sterben zu sehen. Außerdem ist sie intelligent und begabt. Sie wird sich ihre Unsterblichkeit schon noch verdienen. Ganz bestimmt wird sie das tun!
Aus diesem Gedanken heraus sagte er zu ihr: „Ich habe dir etwas mitgebracht."
Sie legte lächelnd den Kopf schief. „Was ist es?" fragte sie. „Soll ich raten?"
Diese Frage berührte ihn seltsam.
Ihm wurde bewußt, wie jung seine Tochter noch war. Sie hatte ihre Kindheit gerade erst seit wenigen Jahren hinter sich gelassen. Das ganze Leben lag noch vor ihr.
Es lag in seiner Macht, dieses Leben nahezu ewig währen zu lassen.
Hatte je ein Vater seiner Tochter ein größeres und wertvolleres Geschenk machen können?
Er würde ihr zum zweitenmal das Leben schenken.
Nermo Dhelims Hände zitterten ein wenig bei diesem Gedanken. „Fang ruhig mit der Raterei an!" sagte er, indem er auf ihren scherzhaften Ton einging. „Aber mach dabei die Augen zu!"
Sie tat es und begann: „Ist es etwas Lebendes oder etwas Totes?"
Sie hätte keine schwierigere Frage stellen können. Aber Nermo Dhelim hatte ohnehin nur eine Gelegenheit gesucht, eines der kleinen Geräte hervorzuholen, ohne seine Tochter gleich die ganze Kollektion sehen zu lassen. „Es ist ein Schmuckstück", sagte er und verschloß den flachen Behälter, in dem er die Zellaktivatoren aufbewahrte.
Er hängte ihr eines der kleinen Geräte um den Hals.
Sie öffnete lächelnd die Augen und hob den Aktivator an, um ihn genauer zu betrachten.
Ihr Lächeln wurde etwas unsicher, als sie den zylindrischen Gegenstand sah, den Nermo Dhelim als Schmuckstück bezeichnet hatte. Sie warf ihm einen schnellen Blick zu. Offensichtlich war sie sich nicht ganz sicher, wie sie sich verhalten sollte.
Die Kette war etwas zu kurz. Ermigoa traf Anstalten, sie über den Kopf zu streifen und den Aktivator abzunehmen. „Tu das nicht!" sagte Nermo Dhelim schnell. „Warum nicht?" fragte sie verwundert. „Was ist das für ein Ding? Ist es wirklich ein Schmuckstück?"
„Ja."
Sie sah ihn zweifelnd an. „Es wirkt nicht sehr anziehend", bemerkte sie. „Woher stammt es?"
„Von einer seltsamen und wilden Welt", log er ohne jedes Zögern. „Es ist ein Glücksbringer - und vielleicht noch ein bißchen mehr. Sieh her: Ich trage auch so einen Anhänger."
Sie musterte seinen Aktivator ohne sonderliche Begeisterung. Sie war anderen und prächtigeren Schmuck gewöhnt.
Ihn befiel die Angst, daß sie den Aktivator nur so lange bei sich behalten würde, bis sie ihren Vater außer Sichtweite wußte. Wahrscheinlich wartete sie nur darauf, daß Nermo Dhelim sich verabschiedete.
Ganz gewiß hatte sie kein Verlangen danach, sich mit diesem jämmerlichen Geschenk ihres Vaters in der Öffentlichkeit zu zeigen.
Fast war er versucht, ihr die Wahrheit über das angebliche Schmuckstück zu sagen. Aber gleichzeitig war ihm klar, daß sie den Aktivator dann erst recht abgelegt hätte. „Der Anhänger wird sich verändern", behauptete er aus einer plötzlichen Eingebung heraus. „Er paßt sich seinem Träger an. Dieser Vorgang dauert einige Zeit. Er darf nicht unterbrochen werden, denn sonst funktioniert es nicht."
„Allzu attraktiv scheint er aber auch dann nicht zu werden", bemerkte Ermigoa mit einem spöttischen Blick auf Nermo Dhelims eigenen Aktivator. „Es hat nichts mit seinem Aussehen zu tun", erklärte Nermo Dhelim strenger als beabsichtigt. „Es geht um
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