1576 - Die Leichengasse
lange warten musste.
Ihr Auftraggeber hatte sich verzogen. Es wäre besser gewesen, wenn er in seiner Firma geblieben wäre, aber er hatte Termine, die wahrscheinlich nur vorgetäuscht waren.
Jane wusste nicht, was sie von Aaron Grant halten sollte. Unbedingt koscher kam er ihr nicht vor. Sie gehörte zu den Menschen, die viel Wert auf den ersten Eindruck legten, und der war bei Grant nicht eben super gewesen.
Die Stille war da. Sie blieb auch. Die besondere und auch angespannte Ruhe, die oftmals vor einem Gewitter herrschte. Jedes Geräusch nahm sie lauter wahr als normal, und das traf sogar auf ihr Atmen zu, das irgendwie schwer klang.
Es gab einige Geräusche. Nur waren sie nicht in ihrer Nähe aufgeklungen. Sie ließen sich auch nicht unterscheiden. Zumeist stammten sie von Fahrzeugen, die jenseits der Zufahrtsstraße mit dem Allee-Charakter unterwegs waren.
Plötzlich horchte sie auf.
Erneut hatte sie ein Fahrzeug gehört. Aber sie wusste, dass es nicht jenseits der Allee fuhr, sondern über sie hinweg, denn der Wagen kam näher.
Von einer Sekunde zur anderen stand sie unter Spannung. Einen Beweis hatte Jane nicht, aber der anfahrende Wagen hatte diese Firma als Ziel.
Da tauchte das blasse Licht eines Scheinwerferpaars auf. Wenig später huschte es über das Gelände hinweg, und Jane erkannte, dass die Scheinwerfer zu einem Transporter gehörten, der noch ein paar Meter fuhr und dann mitten auf dem Hof stoppte.
Sie waren da!
Für Jane gab es keine andere Erklärung. Das mussten die Leichenräuber sein. Der Gedanke daran ließ das Blut schneller durch ihre Adern rauschen. Die lange Zeit des Wartens war vorbei. Jetzt kam es darauf an, was weiterhin passieren würde.
Jane hatte keinen Plan machen können. Sie hatte sich vorgenommen, so zu handeln, wie es die Lage erforderte, und sie wusste, dass sie improvisieren musste.
Die Scheinwerfer verloschen. Dunkelheit verbarg den kleinen Transporter mit der geschlossenen Ladefläche. Türen wurden geöffnet.
Es fiel kein Licht nach draußen. Die beiden Männer, die ausstiegen, wussten offenbar genau, was sie taten.
Sie trafen sich neben der Beifahrerseite, flüsterten miteinander, und einer deutete auf das Gebäude, in dem die Toten für kurze Zeit gelagert wurden.
Bei diesem Wetter starben viele ältere Menschen. Aaron Grant hatte Jane erzählt, dass es in seiner klimatisierten Halle kaum noch Platz für weitere Tote gab.
Die Männer gingen weg.
Die Detektivin atmete tief ein. Sie wusste, dass für sie die Zeit des Handelns kurz bevorstand, doch noch konnte sie nichts tun. Sie musste darauf warten, dass die Männer etwas Ungesetzliches taten. Erst dann wollte sie eingreifen.
Es musste zumindest zu einer Identifizierung kommen. Jane hatte sich vorgenommen, Fotos zu schießen, um die andere Seite damit zu überraschen.
Der Zugang zur Leichenhalle war offen. Die Männer mussten keine Tür einbrechen, sie gelangten ohne Probleme ins Haus und zogen die Tür zu. Einen Moment später schien es, als hätte es sie nie gegeben.
Jane rechnete sich aus, dass die beiden die Toten erst noch holen mussten. Da würde Zeit vergehen, und die wollte sie nutzen.
Kein Fahrzeug fuhr ohne Kennzeichen. Es war möglich, dass es sich um keinen gestohlenen Wagen handelte, und da ließ sich anhand des Nummernschildes feststellen, wem das Fahrzeug gehörte.
Sie löste sich aus ihrem Versteck und ging so leise wie möglich, aber auch recht zügig. Um den Transporter zu erreichen, brauchte sie nur wenige Schritte zu laufen. Vor dem Wagen blieb sie stehen. Das Nummernschild war zwar zu sehen, die Zahlen darauf konnte sie aber nicht lesen. Deshalb nahm sie ihre kleine Lampe zu Hilfe und prägte sich die Buchstaben und Zahlenfolge ein.
Bisher hatte sie noch keinen großen Plan gehabt. Das änderte sich jetzt.
Jane wollte dafür sorgen, dass die Diebe nicht mehr wegkamen. Dann wollte sie der Polizei Bescheid geben.
Es war so einfach, und erneut wunderte sie sich darüber, dass nicht auch Aaron Grant auf die gleiche Idee gekommen war wie sie. Es war nur ein flüchtiger Gedanke. Sie wollte ihn später weiterführen. Jetzt musste sie sich erst mal auf die eigentliche Aufgabe konzentrieren.
Die Reifen waren nicht so groß wie bei einem Lastwagen. Sie hatten fast Pkw-Größe, und die Ventile ließen sich leicht aufdrehen.
Jane wollte bei den hinteren beginnen. Dort gab es weniger Deckung als vor dem Transporter. So lange die zwei Männer nicht zu sehen waren, hatte sie Zeit.
Vor dem
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