1578 - Geschäfte mit dem Frieden
gemacht haben ?
Und als sie das dachte, erlebte sie es wieder: Dieses plötzliche, atemberaubende Gefühl, das sich immer dann einstellte, wenn ihr Blick sich weitete - wieder einmal.
Ein neues Muster, ein neues Bild, ein neuer Zusammenhang.
Und gleichzeitig wußte sie, daß sie noch längst nicht das Ende des Weges erreicht hatte.
Der Gleiter senkte sich dem hügeligen Land entgegen. Ein vertrautes Gebäude tauchte auf, umgeben vom Schachbrettmuster kleiner, von Hekken umsäumter Felder.
Dorina Vaccer landete hinter dem Haus, am Fuß des Hügels.
Niemand kam und störte sie. Die Konfrontation mit dem Kima-Strauch hatte in meditativer Ruhe stattzufinden. Schon eine einfache Begrüßung durch die Bewohner des Hauses hätte störend gewirkt.
Die Linguidin überquerte den Bach und ging den kaum noch sichtbaren Pfad hinauf.
Es war sehr still auf dem Hügel. Der Wind strich durch kahles Gebüsch und über fahlgelbes Gras.
Keine einzige Blume blühte an dem weiten Hang: Es war die Zeit der Winterruhe. Einmal klang vom Bach herauf ein leises, melancholisches Flöten, aber der Mi'inah, der dort sein Lied angestimmt hatte, verstummte so abrupt, als sei er sich mit plötzlichem Erschrecken der Tatsache bewußt geworden, daß er und seinesgleichen um diese Jahreszeit zu schweigen hatten.
Oben bei den Felsen hielt Dorina Vaccer für einen Augenblick inne. Dann tat sie entschlossen den letzten Schritt.
Da stand er, der Kima-Strauch, und blühte, als hätte er die Kraft, sich über sämtliche Naturgesetze hinwegzusetzen.
Es hatte zu schneien begonnen. Der Schnee fiel in die offenen Blüten.
Aber selbst das machte dem Strauch nichts aus.
Trotzdem betrachtete Dorina Vaccer das Gewächs nachdenklich und besorgt.
Sie sah deutlich, daß der Strauch sich verändert hatte.
Veränderungen an einer Kima-Pflanze waren stets ein alarmierendes Signal. Normalerweise deuteten solche Veränderungen darauf hin, daß mit dem zu dem Strauch gehörigen Linguiden irgend etwas nicht in Ordnung war.
Die Friedensstifterin brauchte nicht erst lange in sich hineinzuhorchen, um zu wissen, daß das, was sie sah, nichts mit ihrem eigenen Gesundheitszustand zu tun haben konnte: Der war so gut, daß er gar nicht besser hätte sein können.
Aber was war es dann?
Lange Zeit beschränkte Dorina Vaccer sich darauf, den Strauch nur anzusehen.
Schließlich ging sie näher heran.
Sie legte ihre Hände um eine der Blüten, berührte die seidigglatte Rinde eines jungen Zweiges, strich mit den Fingerspitzen über die ovalen, silbergrünen Blätter.
Es war wie immer: Sie verspürte Erleichterung, als würde eine Last von ihren Schultern genommen. Aber es war keine sehr schwere Last, sondern eine von jener Art, die man eigentlich erst dann als wirkliche Bürde empfindet, wenn man sie los ist.
Und eigentlich wußte niemand, ob da überhaupt tatsächlich so etwas wie eine Last existierte oder ob dieses Gefühl der Erleichterung nicht vielmehr ausschließlich psychologischer Natur war.
Tatsache war, daß kein einziger Linguide bisher herausgefunden hatte, welche Bewandtnis es mit den Kima-Sträuchern hatte.
Wir hätten dieser Frage schon längst einmal nachgehen müssen! dachte Dorina Vaccer beunruhigt. Aber wie, um alles in der Welt, soll man diese Sache anpacken ?
Die Kima-Sträucher waren viel mehr als nur eine Tradition.
Es galt als Tatsache, daß irgendeine Art von Wechselbeziehung zwischen den Sträuchern und den Linguiden existierte.
Aber niemand wußte, von welcher Art diese Wechselbeziehung war.
Jeder Linguide reagierte auf seine eigene, individuelle Art und Weise auf die Begegnung mit seinem Kima-Strauch.
Der eine hatte ganz konkrete Empfindungen bei der Konfrontation, der andere nicht. Manche Linguiden verbrachten ihr ganzes Leben in der Nähe ihrer Sträucher.
Andere dagegen kümmerten sich überhaupt nicht um die Pflanzen.
Auf das Gedeihen der Sträucher schien dies keinerlei Einfluß zu haben.
Andererseits gab es erhebliche Unterschiede in Größe und Aussehen der Sträucher. Manche wuchsen schnell, andere langsam, die einen gingen mehr in die Höhe, die anderen wuchsen in die Breite. Zog man sie im Topf, dann blieben sie zwergenhaft klein.
Und meistens war es völlig unmöglich, einen Zusammenhang zwischen der Wuchsform und dem Befinden, beziehungsweise den Fähigkeiten des betreffenden Linguiden herzustellen Im allgemeinen waren die Kima-Sträucher der Schlichter und der Friedensstifter besonders groß und prächtig.
Aber
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