158 - Amoklauf der Werwölfe
ein Schatten blieb.
Menschen mit zusammengewachsenen Brauen sind Werwölfe… sagt der Volksmund.
Doch noch ein Werwolf in Baikonur? Hatte sie sich so geirrt?
Sie wich bis zum Fenster zurück. Ein Fehler, wie sie Augenblicke später erkannte. Am Bett befand sich die Notklingel. Aber die erreichte sie jetzt nicht mehr. Der Werwolf blieb zwischen dem Bett und Dunja stehen.
„Genossin Dimitrowa?"
Sie nickte stumm, unfähig, etwas zu sagen. Warum tötete der Dämon sie nicht? Was wollte er von ihr? Abi, dachte sie. Wenn doch Abi hier wäre. Er könnte etwas tun. Aber sie selbst war hilflos.
„Anziehen und mitkommen", befahl der Werwolf. „Sofort."
Da endlich wich die Starre, die Lähmung. „Warum?" keuchte sie. „Was habt ihr mit mir vor?" „Keine Fragen. Befehl von höherer Stelle." Ahnte er nicht, daß sie ihn durchschaut hatte?
Sie stöhnte auf. „Du bist ein Wolf', keuchte sie. Sie versuchte, an ihm vorbei zur Tür zu gelangen. Aber er sprang vor und hielt sie fest. „Nein", lachte er spöttisch. „So einfach geht das nicht. Du wirst meinen Befehl ausführen. Anziehen und mitkommen. Schnell."
Seine Worte hatten hypnotische Kraft. Dunja versuchte, sich dagegen zu wehren. Aber die Magie des Werwolfs war stärker. Er zwang sie unter seinen Bann. Dunja keuchte verzweifelt auf. Was konnte sie tun?
Gegen ihren Willen streifte sie das Krankenhemd ab, ging zum Schrank und holte die Sachen heraus, mit denen sie eingeliefert worden war. Sie waren gereinigt worden, aber die Risse waren nicht geflickt, wo die Wolfspranken sie erfaßt hatten. Die Kleidungsstücke hingen teilweise in Fetzen an ihrem Körper. Den Wolfsmann schien das nicht zu stören.
„Was hast du mit dem richtigen Pfleger gemacht, Bestie?" stieß Dunja verzweifelt hervor.
Doch der Werwolf antwortete nicht. Er winkte ihr nur zu. Das reichte schon. Der hypnotische Bann wirkte noch immer, und Dunja konnte nicht anders, als sich in Bewegung zu setzen. Sie verließen das Zimmer. Dunja ging unbeholfen und langsam. Sie versuchte immer wieder sich zu wehren. Aber sie schaffte es nicht.
„Schneller", zischte der Wolfsdämon. Er nahm keine Rücksicht darauf, daß sie noch geschwächt war und ihre Verletzungen möglicherweise wieder aufbrechen konnten. Niemand kam ihnen entgegen. Die Werwölfe mußten die Entführung gut vorbereitet haben. Unbehelligt verließen sie das Gebäude. Draußen stand ein großer Geländewagen. Dunja wurde hineingezwungen. Im Wagen war es kalt; das Fahrzeug besaß eine äußerst miserable Heizung. Dunja in ihrer beschädigten und nicht gerade wintertauglichen Kleidung begann zu frieren.
Der Geländewagen, an dessen Lenkrad ein anderer Dämon saß, rollte an und entfernte sich rasch vom Krankenhaus. Bald schon ließ er die Stadt Baikonur hinter sich und verließ auch die befestigte Straße, um quer durch das unebene Gelände zu holpern.
Der immer dichter fallende Schnee verdeckte alle Spuren.
Abi Flindt glaubte an einen Alptraum.
„Das ist unmöglich", murmelte er verstört. „Wie, zum Teufel, konnte das geschehen? Wieso ist niemandem die Entführung aufgefallen? So etwas sieht man doch!" Er deutete auf die offenen Schranktüren. „Die Kleidungsstücke waren zerrissen. Ein zerlumpt gekleidetes Mädchen fällt doch auf! Habt ihr denn hier alle auf beiden Backen geschlafen?"
Ärzte, Pfleger und Schwestern konnten sich nicht erklären, wie Dunja Dimitrow verschwunden war. Nicht einmal die Zeit ließ sich genau feststellen. Für Abi war es klar, daß Dunja nicht selbst gegangen war. Dazu war sie noch gar nicht wieder fähig, und sie war nicht der Typ Mensch, der vor irgend etwas davonlief - auch nicht vor der Aufgabe, andere bespitzeln zu müssen. Sie hätte es höchstens auf dem Dienstweg versucht, von dieser Aufgabe wieder entbunden zu werden.
Aber einfach so zu verschwinden, noch dazu vor der endgültigen Genesung -- das paßte nicht zu ihr. Sie war entführt worden.
Allerdings hatte keine gewaltsame Entführung stattgefunden. Nichts war zerstört worden. Dunja mußte mit ihren Entführern mitgegangen sein. Entweder hatte man sie unter einen Bann gelegt, was Abi für wahrscheinlicher hielt, oder sie war getäuscht worden.
Es gab keine Spuren. Abi suchte das gesamte Zimmer und die möglichen Wege nach draußen ab, aber er fand nichts, was auf einen magischen Einfluß hindeutete. Offenbar waren die Dämonen sehr sorgfältig zu Werke gegangen und hatten sich besonders gut abgeschirmt. Abi wußte nicht, wohin er sich
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