1587 - Midnight-Lady
stand.
Als sie den Rand des Lichtscheins erreicht hatte, blieb sie für einen Moment stehen. Die Tiere, die sie bisher begleitet und umflattert hatten, zogen sich zurück, als wollten sie den weiteren Weg der Frau nicht stören, die mit dem nächsten Schritt in den Lichtschein trat und für Martha sichtbar wurde.
Sie war nicht jung und auch nicht alt. Ihr Alter war schwer einzuschätzen.
Das Licht veränderte die Farbe ihrer Haut. Sie machte einen blassen Eindruck und wirkte irgendwie nichtssagend. Es gab kein Zucken an den Lippen, kein Spiel der Wangenmuskeln. Das Gesicht blieb einfach nur glatt und ausdruckslos.
Vielleicht ist sie müde, dachte Martha Tresko. Sie sieht erschöpft aus. Ihr Dasein ist zu anstrengend. Sie braucht wieder eine Auffrischung.
Deshalb ist sie auch hier.
Martha gefiel es nicht, wie sie sich bewegte. Das waren sehr schwere Schritte, mit denen sie sich voranbewegte. Es passte nicht zu ihrem Körper, der sehr schlank war.
Martha wollte ihr zeigen, wie willkommen sie war. Deshalb streckte sie ihr beide Hände entgegen.
»Komm!«, rief sie. »Bitte, du bist willkommen. Es ist alles vorbereitet. Ich warte…«
Ein Lachen erklang, bevor Selma Blair die letzten Schritte zurücklegte.
Ihre Augen nahmen für einen Moment einen anderen Glanz an. Das Licht fing sich in den Pupillen, und plötzlich begannen die Augen zu leben. Aus dem fast geschlossenen Mund drang ein leises Fauchen, das so etwas wie eine Begrüßung sein sollte.
Martha gab den Weg frei.
Die Besucherin trat über die Schwelle. Sie sagte noch immer nichts und ließ es auch zu, dass Martha die Tür schloss.
Im Haus war es zwar nicht dunkel, aber auch nicht direkt hell. Am Ende des Flurs klebte unter der Decke eine Lampe, die die Form einer Schale aufwies. Sie gab einen gelbrötlichen Schein ab.
Vor dem offenen Zugang zum Wohnraum blieb Selma Blair stehen. Sie trat noch nicht ein. Ihre Blicke richteten sich forschend auf die Hausherrin, als erwartete sie von ihr etwas Besonderes.
»Es ist alles vorbereitet, Selma«, flüsterte Martha. »Wie immer. Du musst dir keine Gedanken machen.«
Selma lächelte. Sie tat es sehr langsam. Ihr Mund öffnete sich wie im Zeitlupentempo, und das hatte seinen Grund.
Sie wollte zeigen, wer sie wirklich war.
Sekunden später schaute Martha Tresko auf zwei kräftige und spitze Vampirzähne…
***
»Wie fühlst du dich, Partner?« Der Spott in der Stimme der Vampirin Justine Cavallo war nicht zu überhören. Das Lachen ebenfalls nicht?
Sie hatte ihren Spaß.
Ich weniger. Zum einen musste ich mich auf das Fahren konzentrieren, zum anderen mochte ich es nicht, wenn sie mich als ihren Partner ansah. Für mich war eine Unperson, die sich von Menschenblut ernährte, kein Partner.
Nur ging das Leben manchmal ziemlich verschlungene Wege. In der Vergangenheit hatte ich leider lernen müssen, dass ich beinahe so etwas wie ihr Partner geworden war, denn es hatte immer wieder Fälle gegeben, die wir nur gemeinsam lösen konnten.
Hinzu kam, dass mir die Blutsaugerin einige Male das Leben gerettet hatte, wobei auch umgekehrt ein Schuh daraus wurde.
War Justine Cavallo, die auch die blonde Bestie genannt wurde, überhaupt eine normale Blutsaugerin? Da hatte ich so meine Zweifel, denn ihr Verhalten deutete oft genug auf etwas anderes hin.
Zwar brauchte sie das Blut der Menschen, um zu existieren, aber sie war im Gegensatz zu den meisten Vampiren in der Lage, sich im hellen Tageslicht zu bewegen. Sie musste sich nicht tagsüber in irgendwelchen dunklen Ecken verstecken oder einen Sarg als Ruhebett benutzen.
Hinzu kam noch, dass wir beide einen gemeinsamen Todfeind hatten.
Will Mallmann, alias Dracula II.
Früher hatte sie an der Seite dieses Supervampirs gestanden. Dann war es zu Streitigkeiten gekommen, die in einem Machtkampf endeten. Sie hatten sich gegenseitig gejagt, sie waren zu Feinden geworden, und nun bekämpften sie sich, wo immer es ging.
Justine fühlte sich unter Menschen recht wohl. Sie wohnte auch wie ein Mensch, denn sie hatte sich im Haus der Privatdetektivin Jane Collins einquartiert, das diese von der Horror-Oma Sarah Goldwyn geerbt hatte.
Beide hatten so etwas wie einen Burgfrieden geschlossen. Ein Ende dieser Zwangsgemeinschaft war nicht abzusehen.
»He, du sagst ja nichts.«
»Muss ich das denn?«
Sie warf mir einen schnellen Blick zu. »Klar, schließlich sind wir beide wieder auf der Pirsch. Es kann sein, dass wir aufeinander angewiesen sein
Weitere Kostenlose Bücher