1588 - Das Horror-Grab
kann. Wo willst du hin?«
»Das habe ich dir doch gesagt.«
Victor musste lachen. »Ja, das hast du. Das hast du wirklich.« Seine Stimme zitterte, aber er sprach trotzdem weiter. »Das kann ich nur nicht glauben. Du lebst doch. Was willst du in einem Grab?«
Im nächsten Moment schoss ihm ein anderer Gedanke durch den Kopf.
Er fragte sich, ob Klara ihn vielleicht nur auf den Arm nehmen wollte.
»Da muss ich hin!«, antwortete sie.
»Und weiter?«
Sie hob die Schultern und sagte mit einer völlig klaren und normal klingenden Stimme: »Nichts weiter. Ich habe dir alles gesagt, Victor.«
»Das kann ich nicht begreifen, verdammt. Das ist doch der reine Wahnsinn!«
Sie lächelte ihn an. »Ich liebe dich, Vic.«
Mehr sagte sie nicht, denn sie drehte sich auf der Stelle um und ging durch den schmalen Flur auf die Wohnungstür zu, die sie aufzog, noch mal den Kopf drehte und ihrem Freund so etwas wie einen Blick des Abschieds zuwarf.
Dann war sie verschwunden!
***
Victor Fleming stand auf der Stelle, starrte auf die geschlossene Tür und war nicht mehr fähig, etwas zu tun.
Er fühlte sich nicht wie ein verlassener Liebhaber, er fühlte überhaupt nichts mehr. In seinem Innern hatte sich die große Leere ausgebreitet.
Selbst das Luftholen bedeutete für ihn eine Tortur, und als er sich wieder etwas gefangen hatte, da musste er einfach lachen.
Was hatte sie gesagt?
Sie wollte zu ihrem Grab. Das war der reine Wahnsinn. Das konnte nicht sein. Okay, sie würde vielleicht auf den Friedhof gehen, aber dort ihr eigenes Grab besuchen? Das war ein Unding.
Er hatte sie als junge hübsche Frau weggehen sehen. Wie war das möglich, dass sie dann das Grab besuchte, in dem sie angeblich gelegen hatte?
Oder wollte sie das Grab einer Fremden besuchen, die zufällig auch Klara Wellmann hieß?
Auch mit dieser Möglichkeit hatte Victor Fleming seine Probleme. Er glaubte nur noch an das, was er mit den eigenen Augen gesehen hatte, und da erinnerte er sich an die schreckliche Person, die im Bett gelegen hatte.
Lebte Klara nun? Oder war sie eine Tote?
Der Gedanke ließ ihn einfach nicht los. Victor war an einem Punkt angelangt, der so etwas wie einen Bruch darstellte und die Angst in ihm vertrieb.
Er konnte die Dinge nicht so laufen lassen. Er musste etwas unternehmen. Egal, was dabei herauskam. Es war wichtig, dass er die Wahrheit erfuhr.
Anziehen musste er sich nicht mehr. Sogar die Wohnungsschlüssel trug er bei sich.
Er holte die dunkle Windjacke vom Haken, die er überstreifte. Wenig später öffnete er die Wohnungstür und lief in das Treppenhaus. Er lauschte, aber es war nichts mehr zu hören. Klaras Vorsprung war einfach zu groß, und Victor ärgerte sich jetzt, dass er mit dem Verlassen der Wohnung so lange gewartet hatte.
Zwei Treppenabsätze musste er hinter sich lassen, um die Haustür zu erreichen. Er zog sie auf, ging nach draußen und wurde von der ersten Windbö getroffen, die über die Straße fegte und bereits gefallene Blätter vor sich her wirbelte.
Praktisch über Nacht hatte sich das Wetter verschlechtert. Der Herbst war über das Land gekommen. Wind, Regen, Kühle, das gehörte dazu.
Zudem hatte das Wetter die Nachtschwärmer von der Straße getrieben, wobei in der Gegend, in der Victor Fleming wohnte, sowieso nicht viel los war.
Wohin war Klara gegangen?
Sie hätte zwei Richtungen einschlagen können. Da sie aber von einem Friedhof gesprochen hatte, hatte sie sich bestimmt nach rechts gewandt, denn dort gab es einen kleinen Friedhof, der zu den älteren Gräberfeldern gehörte.
Man hatte schon davon gesprochen, ihn aufzulösen, war aber am Widerstand der Kirche gescheitert, und so war der Friedhof geblieben.
Victor musste zugeben, dass er ihn nie besucht hatte. Er war wohl einige Male an ihm vorbei gegangen, das war aber auch alles gewesen. Für einen Friedhofsbesuch hatte es auch nie einen Grund gegeben.
Das sah jetzt anders aus.
Er ging schnell an der Häuserreihe vorbei und stemmte sich gegen den Wind.
Die Umgebung roch nach Nässe. Auf der Straße hatte der Asphalt einen schimmernden Glanz bekommen. Pfützen breiteten sich aus, und Victor war froh, dass der Regen eine Pause eingelegt hatte.
Die Straße gehörte zu denen in der Stadt, auf der auch am Tag nicht viel Verkehr herrschte. In der Dunkelheit sah er nur wenige Autos, die an ihm vorbeifuhren oder ihm entgegen kamen.
Der Friedhof lag auf der anderen Straßenseite. Dort gab es kaum noch Häuser. Zwischen den wenigen gab es
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