1589 - Der steinerne Templer
sein Grab in der Kathedrale der Angst gesehen. Ich sah ihn selbst als silbernes Skelett, das plötzlich erwachte, um mir in einem großen Kampf zur Seite zu stehen. Er hat sich letztendlich für mich geopfert, damit ich meinen Weg weitergehen kann. Das alles habe ich ihm nicht vergessen, und er hat durch seinen Tod dafür gesorgt, dass ich etwas Bestimmtes in die Hände bekam, das du auch kennst. Du hast es damals haben wollen, aber da bist du noch ein anderer gewesen. Dann hast du den falschen Weg eingeschlagen und dich mit der Hölle verbündet. Aber Hector hat die Hölle ebenso gehasst und bekämpft wie ich auch. Daran hat sich bis heute nichts geändert, und den Beweis dafür halte ich in der Hand.«
»Ist es das Kreuz?«, schrie er.
»Ja!«
Armand de Valois schüttelte sich. »Ja, ja, ich habe es haben wollen! Es gehört mir! Ich habe alles darangesetzt, aber mein Cousin…«
»Hör auf zu jammern!«, fuhr ich ihn an. »Es ist jetzt so weit. Du kannst es dir nehmen!«
»Was?«
»Ja, ich gebe es dir!«
Nach diesem Satz ging ich auf die Gestalt zu. Ganz deutlich war jetzt zu erkennen, dass sie nicht steinern war. Das Gesicht sah zwar graubraun aus, doch der kantige Ausdruck darauf war verschwunden. Er wirkte jetzt wie ein Mensch, der voller Hass und Gier steckte, und er warf nun alle Warnungen über Bord.
Er rannte auf mich zu, er senkte sogar das Schwert, sodass die Gefahr für mich geringer wurde.
Bevor er den letzten Schritt hinter sich bringen und zu nahe an mich herankommen konnte, öffnete ich meine Faust. Ich war auch bereit, sofort zurückzuspringen, um der Gefahr auszuweichen, aber die Engel des Bösen griffen nicht mehr ein, denn jetzt war es mein Kreuz, das das Geschehen an sich riss.
Ich musste nichts tun. Aus meinem Talisman hervor schössen Lichtblitze, die sich in der Höhe zu einer Wolke vereinigten.
Auch ich war nicht mehr fähig, etwas zu tun, denn in der Wolke war der Umriss eines Gesichts zu sehen. Rundlich, mit einem Knebelbart. Nicht fest, nur feistofflich oder wie gezeichnet.
So hatte Hector de Valois ausgesehen!
Ich kam nicht mehr dazu, herauszufinden, ob es eine Täuschung war oder nicht. Die Kraft meines wunderbaren Talismans stemmte sich gegen den, der das Kreuz in seinen Besitz bringen wollte und alles andere als würdig war.
Er hatte so lange gewartet, er war jetzt am Ziel und musste erkennen, dass es mit ihm vorbei war.
Seine Hand wollte zugreifen. Sie kam mir übergroß vor, als sie über dem Kreuz schwebte.
Und dann jagte ein gellender Schrei durch dieses Gewölbe.
Ein starker Wind kam auf. Die Flammen in den Schalen der Leuchter fingen an zu flackern. Ein wildes Spiel aus Hell und Dunkel begann, und im Mittelpunkt stand die Gestalt des alten Templers, der seine Existenz endgültig verwirkt hatte.
Hell - dunkel, dunkel - hell. Das Wechselspiel des Lichts hüllte ihn ein, als er in die Knie brach, und es vertrieb die bösen Engel aus dem Hintergrund.
Zurück blieb allein Armand de Valois, dem es nicht gelungen war, das Kreuz zu ergreifen. All die Hoffnung, die ihn so lange am Leben gehalten hatte, wurde zerstört. Er sackte zu Boden und bewegte sich dort zuckend wie ein Wurm. Sein Gesicht war verzerrt. Den Mund hielt er weit geöffnet.
Ich hörte die röchelnden Laute und dann sah ich, dass das andere Licht nicht mehr vorhanden war.
Nur das Kreuz spendete noch Helligkeit, die den Templer eingehüllt hatte. Es war für ihn der Weg in die Verdammnis.
Noch einmal raffte er sich auf, kam auch in die Höhe, und dabei sah ich, dass sein Gesicht zerfiel.
Für einen Moment blieb er noch in dieser Haltung, dann fiel er nach vorn, prallte auf, und ich sah, wie sein Körper zerplatzte, denn da gab es nichts mehr, was diese alte Gestalt noch zusammenhielt. In der folgenden Sekunde fiel schlagartig die Dunkelheit über mich und Kommissar Voltaire herein…
***
Ich stand in der absoluten Finsternis und musste mich erst mal fassen.
Körperlich hatte ich nicht eingreifen müssen, aber ich war schon ziemlich fertig und spürte, dass ich schwankte.
Das Kreuz leuchtete nicht mehr. Ich steckte es zurück in die Tasche und hörte zugleich die schwache Zitterstimme des Kommissars.
»John…?«
»Ich bin noch da.«
»Verflixt, was war das?«
Ich drehte mich zu ihm um und holte zugleich meine Taschenlampe hervor, die wenig später für Licht sorgte.
»War es das?«, fragte Voltaire.
»Ja, genau.« Ich lächelte dem am ganzen Körper zitternden Franzosen zu. »Das war unser
Weitere Kostenlose Bücher