1589 - Der steinerne Templer
die er über den Kopf gezogen hatte, sein Gesicht aber frei ließ.
Es war ein kantiges Gesicht, in dem sich nichts bewegte. Es war eben steinern, und nur deshalb musste man ihm den Namen gegeben haben.
Wir hatte den Gang verlassen und fanden uns in einem großen Gewölbe wieder. Ob es genau unter der Kathedrale lag, wusste keiner von uns zu sagen. Es war zudem nicht wichtig.
Voltaire fand seine Sprache wieder.
»Den - den gibt es ja wirklich!«, flüsterte er.
»Klar. Was hattest du denn gedacht?«
Er wischte über seine Augen, als wollte er das Bild, das er sah, vertreiben. Dann fragte er: »Was hast du eigentlich vor, wo du doch hier das Finale erreicht hast?«
»Ich will herausfinden, ob er tatsächlich aus Stein besteht. Und dazu werde ich auf ihn zugehen.«
»Der hat das Schwert!«
»Kein Problem. Tu mir nur einen Gefallen und warte hier auf mich. Behalte die Umgebung im Auge.«
Voltaire nickte heftig. »Keine Sorge, das mache ich.«
Sehr wohl war mir nicht, als ich die Distanz verkürzte. Aber es musste sein, wenn ich herausfinden wollte, ob mich diese Gestalt tatsächlich wahrnahm und erkannte. Eigentlich hätte sie das tun müssen, denn ich hatte mal als sein Cousin gelebt.
Ich konnte normal gehen. Es hielt mich niemand auf. Weder durch Worte noch durch Taten. Das geschah erst, als ich die Hälfte der Strecke hinter mir gelassen hatte.
Plötzlich zuckte der Kopf. Zugleich öffneten sich die bisher geschlossenen Augen. Auch der Mund blieb nicht mehr geschlossen, und der Kopf bewegte sich nach vorn.
Gab es einen Blick?
Ich erkannte nichts, aber die Augenhöhlen waren nicht leer. Auch der Mund bewegte sich, und was ich bisher kaum für möglich gehalten hätte, das geschah.
Armand de Valois sprach mich an.
In diesem Moment waren die Naturgesetze aufgehoben. Sie standen auf dem Kopf. Eine unheimliche Kraft und fremde Magie hatte die Regie übernommen.
Mir rann es kalt den Rücken hinab, als die ersten Worte meine Ohren erreichten.
»Du bist doch noch gekommen. Ich spüre dich, Hector de Valois. Ich sehe dich. Ich weiß, dass du es bist, obwohl du nicht so aussiehst wie er. Du kannst es nicht leugnen, denn es befindet sich etwas in deinem Besitz, was ich hasse.«
Ich hatte meine Überraschung verdaut und fragte zurück: »Sprichst du vom Kreuz?«
»Ja!«, dröhnte es aus seinem Mund. »Von diesem verdammten Kreuz, auf das sich Hector so viel eingebildet hat. Ich hatte es haben wollen, aber er hat es mir damals nicht gegeben. Ich wollte bei den Templern einen großen Aufstieg erleben, auch das hat er nicht zugelassen. Ich war gedemütigt, aber nicht ausgeschaltet. Ich steckte voller Hass, und der hat sich bis heute gehalten. Ich habe ihm versprochen, dass ich das Kreuz irgendwann bekommen würde, und dann würde ich es hassen wie nichts sonst auf der Welt. Ich habe überlebt, denn ich begab mich in den Schoß der Finsternis. Dort brütete ich an meiner Rache, und ich fand zu dem Dämon mit den Karfunkelaugen.«
Ich winkte ab. »Baphomet kannst du vergessen. Er ist ein Blender und Täuscher. Er hat seine Macht längst verloren. In dieser Zeit ist er nur noch Geschichte.«
»Nein!«, schnarrte mir seine Stimme entgegen. »Man spricht noch immer mit und von ihm.«
»Wie du meinst.«
»Er hat mich damals mit offenen Armen empfangen. Er hat mir den weiteren Weg gezeigt, der mich in die absolute Finsternis führte. In eine Welt, in der der Tod keine Wirkung mehr hat, die aber seit Urzeiten Bestand hat. Ich durfte mir ein Versteck aussuchen, ich durfte weiterleben. Worauf der Himmel stolz ist, darauf kann sich auch die Hölle etwas einbilden. Auch sie hält sich Engel, und ich war ihr schon so nahe gekommen, dass mich diese Engel bewachten. Sie sind bei mir, obwohl du sie nicht siehst. Sie sind in der anderen Welt, der fremden Ebene, die manche Menschen als Jenseits bezeichnen. In Wirklichkeit ist es die Hölle. Einfach die pure Hölle, die mich aufgefangen und mich überleben lassen hat, bis zu dem Tag, an dem ich meine Rache durchziehen kann. Und der ist heute gekommen. Noch einmal, du siehst nicht aus wie Hector de Valois, doch ich spüre, dass du mein verhasster Cousin bist. Von ihm steckt einiges in dir. Ich kann es riechen und finde es einfach widerlich. Deshalb will ich, dass dein elender Körper zerschlagen und zertreten wird, dass du vergehst und verfaulst und dein verfluchtes Kreuz in Zukunft nichts anderes als eine lächerliche Farce ist.«
»Da hast du dir aber viel vorgenommen!«,
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