159 - Magie der Rothäute

schreien, um sich verständigen zu können.

    Dorian Hunter erkannte die Stimme des FBI-Mannes. Er schaute kurz auf die Uhr; der Zeitunterschied betrug sieben Stunden.
    „Hast du Probleme, Tim?" schrie er in den Hörer. Nach einer winzigen Pause verstand er:
    „Dorian! Ich brauche deine Hilfe!"
    „Ich tue, was ich kann. Was gibt es?"
    Wenn Timothy Morton aus Kanada anrief, aus einem gottverlassenen Nest, dann gab es gute Gründe dafür. Besser gesagt: Schlechte Gründe. Er hörte aufmerksam zu, was ihm Morton berichtete, ohne Rücksicht auf die immensen Kosten.
    „Wir müssen diesen Einzelgänger jagen. Ein Mankiller. Ich meine, wir haben es mit einem Grenzfall zu tun. ,Ich will am Telefon nicht deutlicher werden."
    „Ich verstehe", schrie Dorian zurück. „Es ist ein Werkodiak. Verstanden?"
    Vor Überraschung schwieg Tim einige Sekunden lang.
    Der Dämonenkiller sagte: „Hör gut zu. Jedes Wort ist wichtig! Ich habe ein Logbuch gelesen.
    Knapp dreihundert Jahre alt. Lies in kanadischer Geschichte nach. Die Beothuk wurden ausgerottet, und sie projizierten ihren Haß, ihre Wut, ihr Können, die List ihrer Jäger in ein Bärenpärchen. Ich habe keine Zeit, zu dir zu kommen. Aber ich schicke dir Jeff Parker. Auf den ersten Blick ein Playboy-Typ, aber erstklassig in jeder Weise. Ich informiere ihn sofort. Alles klar?"
    „Ich habe sehr genau verstanden", kam es dünn aus dem Hörer. „Er muß die Ausrüstung mitbringen. Klar? Alles. Ich habe nur eine schwere Büchse."
    „Verlasse dich auf ihn, fast ebenso wie auf mich, Tim!"
    „Problem erkannt. Hier meine Nummer. Nimmt Botschaften entgegen."
    Dorian Hunter schrieb mit, überdies lief ein Bandgerät.
    „Hast du ein Permit für einen Bären?"
    „Bekomme ich sofort. Die Polizei sucht Jäger. Ich kann Parker abholen."
    Dorian lachte.
    „Wahrscheinlich kommt er mit Privatflugzeug und Hubschrauber. Ich habe zufällig vor einigen Tagen über Werkodiaks nachgelesen. Nehmt euch in acht. Der dämonische Bär ist besser als fünf Jäger. Noch etwas?"
    „Danke, Dorian. Es wäre schöner, wenn du hier wärst."
    „Es geht leider nicht. Ich bin morgen, gleiche Zeit, zur vollen Stunde, wieder zu erreichen."
    „Also gut. Ende!"
    Morton legte auf, wartete die Gebührenansage ab und ging hinüber in die große, geheizte Werkstatt. Er berichtete, wie sich in den nächsten Tagen der Ablauf der schlimmen Vorfälle vermutlich gestalten würde.
    Vermutlich hatte Dorian Hunter wieder einmal recht gehabt mit seinem ewig wachen Mißtrauen gegenüber dem verwirrenden und grausamen Reich der Dämonen.
    Er kaufte im nahen Jagdshop ein paar Schachteln Munition und überzeugte sich, daß der Händler eine ausreichende Auswahl an schweren Jagdwaffen hatte. Wenn Hunter einen anderen Mann empfahl, so bedeutete dies eine Auszeichnung. Er konnte sich daran halten. Als er seinen Wagen wieder parkte, schwebte über ihm ein schwerer Hubschrauber mit den Kennzeichen der Royal Mounted Police ein.
    Tim Morton fuhr zurück zu Corrings' Haus und wartete auf den Hubschrauber, der offensichtlich Schwierigkeiten hatte, den richtigen Platz zu finden. Nachdem Tim eine rote Rakete abgefeuert hatte, entfesselte die Tragschraube des Helikopters einen kleinen Schneesturm.

    Die Kunst des Abendlands - und sowohl die Auffassung als auch die künstlerischen Fähigkeiten wurden von Auswanderern in die Neue Welt reitgebracht -, enthält unzählige Elemente aus exotischen oder längst vergangenen Zivilisationen.
    Auch in Tim Mortons Cottage fanden sich Kunstgegenstände. Sie waren weitaus weniger kostbar als jene in seinem New Yorker Apartment. Inuit-Plastiken standen auf kleinen Sockeln. Je länger er diese Stücke aus Speckstein oder Walzähnen anblickte, desto mehr begriff er, daß die Existenz eines Werkodiaks nicht außerhalb der erlebbaren, wirklichen Welt stand.
    Die europäische Gotik räumte dem Phantastischen und dem Dämonischen breiten Raum ein; wahrer Glaube und Vorstellungen aus schwarzer Vorzeit mischten sich auf überzeugende Weise. Jene Bereiche jenseits der Realität - Hölle und Fegefeuer, Basilisken, Spukgestalten und viele Zutaten aus dem Fundus fremdartiger Kulturen lassen heute noch erkennen, daß Wirklichkeit und Dämonenwelt auf eine Ebene gehoben worden waren.
    Während Tim Morton versuchte, sich mit dem Gedanken an einen Werkodiak anzufreunden, durchsuchte der Dämonenkiller seine reichhaltigen Archive. Er beschäftigte sich mit der Vergangenheit Kanadas, die praktisch mit der Ankunft