1593 - Der Hexentöter
Waschbecken in ihrer Nähe befand, auf das sie sich stützen konnte, sonst wäre sie zusammengesackt.
Jemand atmete so laut, dass dieses Keuchen den gesamten Waschraum erfüllte.
Gildas Blick blieb nicht mehr ruhig. Sie bewegte ihre Augen zuckend hin und her und versuchte, so gut wie möglich in die Runde zu schauen, ob sie nicht doch etwas sah.
Nein, der Waschraum blieb leer.
Aber wer sprach? Und woher kam die Stimme?
Bei dieser Frage rann eine Gänsehaut über ihren Rücken. Zugleich begann das Zittern ihrer Beine. Sie wusste nicht mal, ob sie noch in der Lage sein würde, den Raum hier zu verlassen.
»Hexen müssen brennen!«
Wieder zuckte sie zusammen und schrie ein »Was?« in die Leere hinein.
»Auch du wirst brennen!«
»Bitte…«
Die weiteren Worte wurden ihr von den Lippen gerissen.
»Auch ich habe gebrannt, und das habe ich nicht vergessen. Auch nicht in den vielen langen Jahren, die seitdem vergangen sind.«
»Wer bist du?«
Sie hatte die Frage geschrien und sich dabei vorgebeugt. Ihr Gesicht war zu einer Grimasse verzerrt, und wenn ein Blick brennen konnte, dann war es bei ihr der Fall.
»Ich heiße Chinok!«
Gilda wurde wieder überrascht. Mit dem Namen konnte sie nichts anfangen. Sie gab allerdings zu, dass er sich gefährlich anhörte.
Erneut durchsuchte sie den Raum und sah nichts, was auf diesen Chinok hingewiesen hätte.
Es gab nur seine Stimme und seine Worte, die sie als sehr schlimm empfand.
»Ich - ich kenne dich nicht. Verdammt noch mal, wo steckst du? Zeig dich endlich!«
»Kannst du es nicht mehr abwarten, Gilda? Du wirst bald brennen!«
Brennen! Brennen! Der Begriff wollte ihr nicht aus dem Kopf. Das war verrückt, das war der reine Wahnsinn. So etwas konnte es nicht geben.
Aber sie musste ihre Worte selbst revidieren.
War sie nicht eine Hexe? Hatte man in früheren Zeiten die Hexen nicht auf dem Scheiterhaufen verbrannt? Ja, das war alles passiert, und jetzt schien sich wieder jemand daran erinnert zu haben.
Sie konnte nichts mehr sagen. Es war, als hätte man ihr gegen den Kopf geschlagen. Sie hatte das Gefühl, in einem Kreisel zu stecken, aus dem sie nicht mehr herauskam. Sie musste sich erneut am Waschbecken festhalten, weil der Schwindel einfach zu stark geworden war.
Wieder hörte sie die Stimme. »Du wirst schon bald brennen. Ich komme noch am heutigen Tag zu dir und freue mich schon darauf, dich lodern zu sehen, du Hexe!«
Gilda Green war nervlich am Ende. Was sie in den letzten Minuten durchgemacht hatte, überstieg ihre Kräfte. Sie hielt sich noch in der normalen Welt auf, aber sie fragte sich, ob es wirklich noch der Waschraum war, den sie bisher jeden Tag in der Pause aufgesucht hatte.
Ihr Blick fiel in den Spiegel. Sie sah sich und erschrak. Ihr Gesicht sah gerötet aus, es war zudem verquollen. Für sie stand fest, dass sie ihren Arbeitsplatz mit diesem Aussehen nicht betreten konnte.
Normal stehen konnte sie auch nicht.
Nach wie vor diente ihr das Waschbecken als Stütze. Die Pausenzeit war längst überschritten, aber daran wollte sie jetzt nicht denken. Hier hatte das unsichtbare Grauen zugeschlagen und sie voll erwischt.
Als die Eingangstür aufgestoßen wurde, zuckte sie wie unter einem Peitschenhieb zusammen, so sehr hatte sie dieser normale Vorgang erschreckt. Eine Kollegin schaute herein, wollte etwas sagen und vergaß den Anraunzer, als sie sah, was mit Gilda Green los war.
»He, was hast du?« Sie ging auf die am Waschbecken lehnende Frau zu.
»Bitte, Jamie, ich - ich - bin schon in Ordnung.«
»Nein, das glaube ich nicht. Schau mal in den Spiegel, wie du aussiehst. Das ist ja schrecklich. So kannst du nicht an deinen Arbeitsplatz gehen, ehrlich.«
»Ich - ich…«
»Warte noch«, sagte Jamie, die beide Hände auf Gildas Schultern gelegt hatte. »Ich richte das schon. Ich sage den Kolleginnen Bescheid, dass dir übel geworden ist.«
»Das stimmt doch nicht.«
»Trotzdem.«
»Nein, Jamie ich…« Sie schüttelte den Kopf und konnte nichts mehr sagen.
»Was ist denn überhaupt passiert? Bist du hier überfallen oder sexuell genötigt worden?«
»Nein, das bin ich nicht.«
»Okay. Dann verstehe ich nur nicht, dass du so aussiehst.«
»Das verstehe ich selbst nicht.« Jamie zog ihr Hände zurück. »Also, jetzt ist mir gar nichts mehr klar. Ehrlich.«
»Mir auch nicht!«
»Und was soll ich tun?« Gilda wusste die Antwort nicht sofort. Sie musste erst nachdenken und sagte schließlich: »Bitte, Jamie, gib mir noch eine
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