1593 - Der Hexentöter
über uns am Beginn der Böschung tauchten drei Fahrzeuge auf.
Einer davon war ein Leichenwagen.
Wir winkten den Kollegen zu, die wenig später bei uns standen und mit betretenen Gesichtern die verbrannte Tote anschauten.
Ich überließ Suko die Erklärung und sonderte mich ab. Ich war einfach nicht in der Stimmung, mit den Leuten zu reden. Mir ging zu viel durch den Kopf, und der Gedanke, dass wir an unsere Grenzen gelangt waren, wurde immer stärker in mir.
Welches Rätsel mussten wir lösen? Und das besonders schnell, denn es war nicht damit zu rechnen, dass dieser Chinok mit dem Morden aufhörte. Er würde stattdessen weitermachen, bis alle Frauen tot waren, die er als Hexen ansah.
Und Assunga griff nicht ein! Das war für mich die größte Enttäuschung.
Ausgerechnet sie, die immer die Kontrolle über ihre Getreuen hatte, behauptete, machtlos zu sein. Und das bei ihren Kräften. Warum war sie nicht rechtzeitig hier erschienen und hatte sich den gnadenlosen Killer geholt?
Ich wusste es nicht. Ich kannte auch keinen Weg, der mich zu diesem Chinok führte. Zudem wusste ich nicht, wer hier in der Stadt noch als Hexe herumlief.
Ich hörte Suko rufen: »Wir können wieder zurück ins Büro fahren, John.«
»Und dann?«
»Sehen wir weiter.«
Dass ich über seine Worte lachte, dafür hatte er Verständnis…
***
Gilda Green war heilfroh, ihren Verkaufsstand verlassen und in die Pause gehen zu können. Sie hätte nie gedacht, dass an diesem Tag ein so starker Betrieb herrschen würde. Es musste wohl am Wetter liegen, das die Menschen in die Kaufhäuser trieb und dafür sorgte, dass die Verkäuferinnen bis an die Grenze der Belastbarkeit gefordert wurden.
Dabei war das Weihnachtsgeschäft noch längst nicht angelaufen. Aber zu der Zeit würde auch mehr Personal vorhanden sein.
Mit ihren müden Beinen betrat sie den Pausenraum und war froh, sich setzen zu können. Sie schloss die Augen. Eine halbe Stunde Ruhe, keine Hektik, die Beine hochlegen können, das tat einfach nur gut.
Gilda Green war vierunddreißig Jahre alt. Sie gehörte zu den Frauen, die recht groß waren. Dennoch brachte sie nicht viel auf die Waage, und das sah man an ihrer Figur, die nicht eben als sehr fraulich angesehen werden konnte.
Ihr Gesicht war schmal. Sommersprossen bildeten ein Muster aus blassen Punkten in einem ebenfalls blassen Gesicht, in dem selbst die Lippen kaum auffielen.
So sah sie zumindest am Abend aus. Nicht so im Beruf. Da sie als Kosmetikverkäuferin ihr Geld verdiente, musste sie entsprechend zurechtgemacht sein, was auch der Fall war.
Die Sommersprossen waren so gut wie nicht mehr zu sehen, dafür traten die Augenbrauen und die rot geschminkten Lippen deutlicher hervor. Sie trug eine helle Bluse und eine weinrote Stoffhose. Alle ihre Kolleginnen waren so uniformiert gekleidet.
Auf einen Kaffee aus einem Automaten hatte sie verzichtet. Sie hatte einfach nur Durst und einen leichten Hunger. Deshalb trank sie Wasser aus der Flasche, die sie von zu Hause mitgebracht hatte, und aus dem schmalen Spind holte sie sich nach einer kurzen Ruhepause mit hochgelegten Beinen die Kekse, die bis zum Abend als Nahrung reichen mussten.
Erst dann begann ihr zweites, ihr richtiges Leben, von dessen Einnahmen sie leider nicht existieren konnte, denn das Legen der Karten brachte nicht viel ein, und das, obwohl ihre Trefferquote recht hoch lag, wie man ihr immer wieder sagte.
Gilda Green gehörte zum Zirkel der modernen Hexen. Es war eine sehr lockere Verbindung von Frauen, die eben einen anderen Weg gehen, sich mehr mit der Natur befassen wollten und daraus dann ihre Kraft schöpften.
Dabei hatte sie auch eine andere Person kennengelernt. Eine, die ihnen allen über war und aus einem Reich oder einer Welt stammte, in die noch keine von ihnen einen Blick hatte werfen können.
Diese Person hieß Assunga, und sie besaß die Gabe, sich durch einen geistigen Kontakt mit ihnen in Verbindung zu setzen. Das hatte Gilda des Öfteren erlebt, und auch jetzt, als sie wieder saß und an ihrem Gebäck knabberte, dachte sie darüber nach.
Für sie war Assunga die Zukunft. Sie hatte Gilda darin bestärkt, ihr modernes Hexendasein nicht aufzugeben. Sie sollte es intensivieren, und sie hatte ihr den Rat gegeben, ihr Leben in den nächsten Monaten nicht zu verändern.
Das hieß im Klartext, weiterhin als Verkäuferin zu arbeiten und nach Feierabend ihrer wahren Bestimmung nachzugehen.
»Irgendwann wird sich auch ein Leben verändern!«
Diesen
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