16 - Im Schatten des Grossherrn 05 - Durch das Land der Skipetaren
vorsichtig nach vorn. Ich erblickte jetzt die beiden Aladschy auf ihren Schecken, den Miriditen auf seinem Braunen, Manach el Barscha, Barud el Amasat und den Alten, den Mübarek, welcher in sehr hinfälliger Haltung im Sattel saß und den Arm in der Schlinge trug.
Hätten sie gewußt, daß ich mich höchstens zehn Ellen weit hinter ihnen befand! Welch eine Szene hätte das gegeben! Mein Pferd brauchte nur einmal zu schnauben, so war ich verraten. Aber das kluge Tier wußte, was es zu bedeuten hatte, wenn ich ihm die Hand für einen Augenblick auf die Nüstern legte. Dann gab es gewiß keinen Laut von sich.
Jetzt konnte ich wieder zu meinen Gefährten stoßen, welche Warzy nun längst hinter sich hatten. Ich lenkte nach rechts hinüber, so daß ich diesen Ort gar nicht berührte.
Ich kannte die Gegend ganz und gar nicht, und es gab auch von Warzy nach Jerßely keinen gut betretenen Weg; das hatte ich von dem Schneider erfahren. Aber ich fand doch die Fährte der Meinigen, ungefähr drei Kilometer westlich von dem ersteren Dorf entfernt, und folgte ihr. Sie führte mich durch ein wildes, mit Steintrümmern besätes, schluchtenähnliches Tal empor zum Wald, in dessen weichem Boden sie sehr deutlich wurde, so daß ich meine Augen nicht mehr anzustrengen brauchte und schneller reiten konnte. Bald hatte ich die Gefährten eingeholt.
„Sihdi, eben wollte ich begehren, daß man auf dich warte“, sagte Halef. „Was hattest du vergessen?“
Bevor ich antwortete, warf ich einen forschenden Blick auf den kleinen Schneider. Er schien nicht im mindesten neugierig auf meine Antwort zu sein.
„Ich wollte nach dem Miriditen, dem Bruder des Fleischers sehen“, sagte ich. „Du hast doch von dem Wirt gehört, daß diese Brüder Miriditen sind.“
„Was geht uns dieser Miridit an?“
„Sehr viel. Er will mich unterwegs mit gehacktem Blei erschießen oder mit dem Heiduckenczakan töten.“
„Das weißt du?“
„Er selbst hat es gesagt – zu unseren guten Freunden, welche uns verschmachten lassen wollten.“
Ich erzählte nun den Vorfall, sagte aber nichts, daß ich das Gewehr des Miriditen vernagelt hatte. Dabei hielt ich den Blick fest auf den Schneider gerichtet. Er machte ein ehrlich erstauntes Gesicht und sagte schließlich:
„Effendi, was sind das für Menschen? Kann es denn wirklich solche gottlose Leute geben?“
„Wie du hörst.“
„O Allah! Davon habe ich keine Ahnung gehabt. Was habt ihr ihnen denn getan?“
„Das wirst du gelegentlich erfahren, wenn du länger mit uns reitest, denn wir bleiben nicht in Uskub. Wir reiten nur durch die Stadt und dann schnell weiter nach Kakandelen und Prisrendi.“
„Also nach meiner Heimat? Das freut mich sehr. Was euch gestern passiert ist, das habe ich heute früh von den Knechten erfahren. Nun seid ihr auch heute wieder mit dem Tod bedroht. Da möchte einem ja angst und bange werden!“
„Du kannst dich ja von uns trennen!“
„Das fällt mir gar nicht ein. Vielleicht liegt es nur an mir, daß ihr glücklich entkommt. Ich werde euch so führen, daß euch dieser Miridit gewiß nicht findet. Ich führe euch über Gebirgswiesen und offene Strecken. Später kommen wir dann hinab in die berühmte, fruchtbare Ebene Mustafa, welches sich von Uskub nach Südosten bis über Köprili hinaus erstreckt und in welcher die neue Eisenbahn gebaut wird. Da haben wir ganz offenes Land. Und wenn es euch recht ist, bleibe ich auch hinter Uskub euer Führer.“
„Das ist uns ungemein lieb. Wie es scheint, bist du sehr weit herumgekommen?“
„Nur in dieser Gegend, welche ich aber auch ganz genau kenne.“
„Wir sind fremd und haben zuweilen von einem Mann sprechen hören, welcher der Schut genannt wird. Wer ist denn das?“ fragte ich leichthin.
Der Zwerg zog die Brauen hoch empor und antwortete:
„Das ist ein berüchtigter Räuber.“ Er blickte sich scheu um und fügte hinzu: „Es ist nicht gut von ihm zu sprechen. Er hat überall seine Leute. Hinter dem nächsten Baum kann einer stehen.“
„Hat er denn eine so zahlreiche Bande?“
„Der hat seine Verbindungen überall, in jedem Dorf, in jeder Stadt. Der höchste Richter und der frömmste Imam kann ein Mitglied dieser Bande sein.“
„Ist ihm denn nicht beizukommen?“
„Nein. Das Gesetz vermag hier nichts. Ich bin kein Kundiger des Koran, der Sunna und ihrer Auslegungen, aber ich habe einmal gehört, unsere Gesetze seien so dunkel und vieldeutig, daß sie selbst da, wo ihnen Nachdruck gegeben werden
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