16 - Im Schatten des Grossherrn 05 - Durch das Land der Skipetaren
Bakschisch bestand, welches ich ihm gar nicht versprochen hatte, und dies in Worten tat, welche mich beleidigen mußten, ergrimmte die Leute. Er war im Nu ergriffen, und zehn, zwanzig Fäuste schlugen auf ihn ein.
„Halt! Laßt ihn los!“ überschrie ich den Lärm, welchen die Leute erhoben. „Ich will ihm sein Bakschisch geben.“
„Das ist nicht nötig!“ rief mir einer zu. „Er erhält es von uns; du siehst es ja.“
„Haltet ein, haltet ein!“ kreischte der Alte. „Ich mag es nicht, ich mag es nicht!“
Er riß sich los und rannte nach seiner Fähre, wohin sich seine drei Helden bereits in Sicherheit gebracht hatten. Dabei entwickelte er eine Schnelligkeit, welche ganz das Gegenteil von der Behaglichkeit war, welche ich vorher an ihm bemerkt hatte. Er vergaß sogar, daran zu denken, daß er sich vorgenommen hatte, nichts ohne seine Pfeife zu tun. Sie war ihm entfallen, und er ließ sie im Stich. Einer der Arbeiter hob sie auf und warf sie ihm lachend auf die Fähre nach. Er aber griff einstweilen nicht nach ihr, sondern nach der Kette, um die Fähre schleunigst vom Ufer zu lösen. Sobald sich aber ein Wasserstreifen zwischen ihm und uns befand, begann er zu schimpfen und nannte mich einen Knauser und wortbrüchigen Geizhals.
Halef trat an das Ufer, legte seine Flinte an und drohte:
„Sekiut dur, joksa atarim – schweig, sonst schieße ich!“
Aber der Alte schimpfte fort. Er mochte nicht glauben, daß der Hadschi seine Drohung wahr machen werde. Er hatte die Stange in der Hand, ohne sie zu gebrauchen. Da drückte Halef los. Er hatte auf die Stange gezielt – Die Kugel schlug in der Nähe der Hände des Alten in die Stange ein, so daß die Splitter flogen. Da tat der Fährmann einen Schrei, ließ die Stange über Bord in das Wasser fallen und warf sich platt auf den Boden der Fähre nieder, weil er wahrscheinlich meinte, in dieser Lage vor einer zweiten Kugel am sichersten zu sein.
Ein lautes Gelächter erscholl von seiten der Arbeiter, denen die plötzliche Behendigkeit des Alten ebenso komisch vorkam, wie uns.
Nun erreichten wir die größte der Bauhütten, vor deren Tür wir hielten. Ich stieg ab und wurde in das Innere geführt.
Der Raum war groß. An den Wänden hingen die wenigen Habseligkeiten der Arbeiter. Rundherum waren Bretter als Sitze befestigt, welche zugleich als Lagerstätten dienten, und im hintersten Winkel stand ein mächtiger Kachelofen von einer Konstruktion, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Er enthielt vier Kochkessel, und sein Herd bot eine gute Gelegenheit zum Trocknen nasser Kleider.
Ich war kaum eingetreten, so kam aus einer anderen Hütte ein junger, kräftiger Mann herbei, welcher mir sofort zurief:
„Herr, du hattest recht. Sie ist nicht tot, sondern sie lebt; sie atmet bereits. Ich bin nur schnell einmal von ihr fortgelaufen, um dir meinen Dank zu sagen.“
„Ist sie verwandt mit dir?“
„Sie ist mein Weib. Ich bin der Baschi ischdschiji (Aufseher). Sie hat die Überfahrt gewagt, weil ich ihr befohlen hatte, bereits am frühen Morgen hier zu sein. Aber du mußt dich entkleiden. Ich werde sogleich mein Ziafet esbaby (Festanzug, Feiertagskleid) holen.“
Er entfernte sich und kehrte in kurzer Zeit mit Hose, Jacke, Weste und einem Paar Pantoffeln zurück, mit welchen Gegenständen ich mich in einen kleinen Verschlag begab, um mich umzukleiden. Halef half mir dabei. Als er mir die nassen Kleidungsstücke vom Leibe zog, jammerte er:
„Effendi, nun ist es aus mit der Würde deines Standes und mit der Anmut deines Charakters. Dieser schöne Anzug hat dich in Stambul über sechshundert Piaster gekostet, und nun ist ihm durch das Wasser der Glanz seines Aussehens geraubt worden. Sieh, du hast bei der Anstrengung des Schwimmens einen entsetzlichen Riß in das Bein deiner Hose gesprengt. Er muß geschlossen werden, damit die Lieblichkeit deiner Glieder nicht beleidigt werde. Zwirn und Nadel habe ich zwar stets bei mir, aber ob sich hier ein Ütü (Bügeleisen) finden läßt, um dem Anzug seine heitere Form zurückzugeben, das bezweifle ich.“
Man darf keineswegs aus den Worten des Kleinen auf meine Gestalt und Persönlichkeit schließen. Es war einmal seine Gewohnheit, sich so auszudrücken.
„Frage einmal nach. Vielleicht befindet sich ein Schneider unter den Arbeitern.“
Er entfernte sich mit meinen Kleidern, und ich hörte ihn draußen laut fragen:
„Hört, ihr Söhne und Enkel der Eisenbahn, befindet sich ein Schneider unter euch?“
„Hier!“
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