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16 - Im Schatten des Grossherrn 05 - Durch das Land der Skipetaren

16 - Im Schatten des Grossherrn 05 - Durch das Land der Skipetaren

Titel: 16 - Im Schatten des Grossherrn 05 - Durch das Land der Skipetaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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scharfen Überlegung. Man sage mir nicht, daß in einem solchen Augenblick der Gefahr gar keine Zeit für das Fassen eines Entschlusses vorhanden sei. Es ist geradezu wunderbar, mit welchen Kräften der allgütige Schöpfer den Geist des Menschen ausgestattet hat. Im Traum zum Beispiel faßt eine einzige Minute die Ereignisse ganzer Tage und noch viel längerer Zeit zusammen. Mir träumte einst, daß ich ein Examen zu bestehen habe. Ein ganzer Tag war uns zu schriftlichen Arbeiten gewährt. Ich war zuerst fertig, wurde aus der Klausur entlassen und machte einen mehrere Stunden langen Gang in die Berge. Das mündliche Examen erstreckte sich über die nächsten zwei Tage. Am Abend des letzten Tages, ganz kurz vor Beendigung der Prüfung, brach eine Bank zusammen, auf welcher eine Anzahl von Zuhörern saß, und – ich erwachte. Mein Schlafgenosse hatte das Fenster zugeworfen. Er sagte mir auf meine Erkundigung, daß ich ihm vor höchstens drei Minuten gesagt habe, er solle mich nicht mehr mit Fragen belästigen, da ich sehr ermüdet sei und gern schlafen wolle. Ich hatte also im Traum innerhalb dreier Minuten drei Examentage mit allen Einzelheiten durchlebt. Ich kannte ganz genau den Inhalt meiner schriftlichen Arbeit, welche viele Seiten füllte, und konnte mich auf die meisten Fragen besinnen, welche mir vorgelegt worden waren. Ja, ich wußte sogar, welche Personen mir während des geträumten Spazierganges begegnet waren, und worüber ich mich mit ihnen unterhalten hatte. Freilich hatte ich am nächsten Morgen dieses alles ganz gründlich vergessen.
    Wenn also der Traum dreier Minuten drei volle Tage, also eine Minute des Traumes ein körperliches und geistiges Handeln umfaßt, zu welchem im wachen Zustand über vierzehnhundert Minuten nötig sein würden, so ist das eine Fähigkeit des Geistes, welche ich ihm auch für den wachen Zustand nicht absprechen möchte.
    Ich habe mich in Lagen befunden, in denen mein oder anderer Leben an einer Sekunde hing, und als diese Zeit vorüber und die Gefahr abgewiesen war, habe ich ganz genau gewußt, daß ich in dieser einen Sekunde die Gefahr vollkommen durchschaut, mir alle Mittel zur Abwehr vergegenwärtigt und das beste und sicherste derselben ausgewählt und auch ausgeführt hatte. Das scheint unbegreiflich, ein Wunder zu sein; aber Tausende von ebenso großen und noch größeren Wundern geschehen im alltäglichen Leben, ohne daß man sich derselben bewußt wird. Wir sind eben nicht nur von lauter Wundern Gottes umgeben, sondern wir selbst sind das größte derselben. Der Gottesleugner mag mir das bestreiten; ich beklage ihn.
    Ähnlich war es auch hier auf dem angeschwollenen Fluß. Die in dem spitzen Vorderteil des Kahnes sitzende Frau klammerte sich, vor Entsetzen schreiend, an den Rand des Fahrzeuges an; aber der Anprall war so stark, daß sie herausgeschleudert wurde. Sie verschwand in den schmutzig dicken Fluten und – ich mit ihr.
    Wie ich vom Pferd heruntergekommen bin, welche Zeit ich gebraucht habe, die Gewehre, den Inhalt meiner Taschen und den Gürtel nebst allem, was sich in demselben befand, von mir zu werfen, das kann ich nicht sagen. Halef behauptete später, ich hätte mich schon vor dem Zusammenstoß aus dem Sattel geschwungen, wohl in der sicheren Voraussicht, daß das Weib sich nicht werde halten können. Er will vergeblich versucht haben, mich zurückzuhalten, doch weiß ich nichts davon. Mein ganzes Denken ist eben nur auf ein einziges konzentriert gewesen.
    Genau weiß ich nur, daß ich das Weib mit einer Hand packte und mit in die Tiefe zog, um mit ihr unter Boot und Prahm hinwegzukommen. Die Fahrzeuge konnten uns gefährlich werden.
    Als ich wieder emportauchte, sah ich, daß wir eine ziemliche Strecke abwärts gerissen worden waren. Ich hielt die Frau an dem Ärmel ihrer blautuchenen Zuava (vorn offene, betreßte Jacke); sie war besinnungslos, ein Umstand, welcher mir nur lieb sein konnte. Ich befand mich jenseits der Stromesmitte und mußte trachten, das Ufer zu erreichen, ohne im Kampf mit den Wogen meine Kräfte aufzureiben. In solchen Lagen darf man nicht vorn, sondern muß auf dem Rücken schwimmen, obgleich dies den Nachteil hat, daß man nicht nach vorwärts blicken kann. Es ist bequemer, und man kann weit mehr tragen. Ich legte mir die Frau quer über den Leib, so daß ihr Kopf nicht mit dem Wasser in Berührung kam, und ließ mich von den Fluten treiben.
    Da ich den Körper der Verunglückten zu tragen hatte, kam der meinige tief zu

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