16 - Im Schatten des Grossherrn 05 - Durch das Land der Skipetaren
vorstellen solle, ergriff ich die Deckel und schlug sie zusammen. Das gab allerdings ein Geräusch, welches ganz geeignet war, einen Schlafenden zu wecken.
Ich mußte längere Zeit das Cymbal schlagen, bevor ich Erhörung fand. Über mir wurde ein Laden geöffnet, stückweise, denn die Bretter hingen nicht mehr zusammen; dann kam folgendes zum Vorschein: eine elfenbeingelbe Glatze, eine aus lauter Querrunzeln bestehende Stirn, zwei kleine, schläfrig blinzelnde Augen, eine Nase, welche der Schnauze einer großen, braunen, tönernen Kaffeekanne glich, wie man sie bei uns auf den Dörfern sieht, ein breiter, lippenloser Mund, ein gebogenes Kinn, welches gar nicht breiter als die Nase war, und endlich ertönte es zwischen den Lippen hervor:
„Kim dir – wer ist da??“
„Bir chasta – ein Patient“, antwortete ich.
„Ne asl chastalyk – welche Krankheit?“
„Mibim kyran – ich habe den Magen gebrochen“, erklärte ich frisch von der Leber weg.
„Schimdi, tez – gleich, sogleich!“ schrie der Herr ‚Doktor‘ mit einer Stimme, der ich entnahm, daß ihm ein solcher Hauptfall noch gar nicht vorgekommen sei.
Der Kopf fuhr in allerhöchster Eilt: zurück; mir aber, der ich so verwegen war, noch in die Höhe zu blicken, fielen die Bestandteile des Ladens ins Gesicht. Ich war so geistesgegenwärtig, erst dann zur Seite zu springen, als die Bretter bereits auf der Erde lagen.
Nach kaum einer Minute hörte ich hinter der Tür einen Lärm, als ob ein Erdbeben im Anzug sei. Einige Katzen kreischten, ein Hund heulte, Gefäße wurden umgerissen, eine unaussprechlich wundersame Frauenstimme schrie dazwischen; dann flog etwas, was wohl der Arzt selbst war, gegen die Tür, denn sie ging auf, und der gelehrte Herr lud mich mit einer tiefen, tiefen Verbeugung ein, gütigst näher zu treten.
Aber was für eine Gestalt sah ich da vor mir! Dieser ‚Doktor und Arzneiladen‘ hätte, in ein heimatliches Rübenfeld gestellt, allen Hänflingen, Stieglitzen, Zeisigen und Spatzen einen so heillosen Schreck eingejagt, daß sie sicher sofort nach Marokko geflogen wären, um niemals in ihrem Leben wiederzukommen.
Sein Gesicht sah jetzt, in der Nähe betrachtet, noch viel vorweltlicher aus als vorher. Es war so voll von Falten und Runzeln, daß es auch nicht eine einzige, noch so kleine glatte Stelle darin gab. Sein Morgenkleid war ein hemdähnliches Ding, welches zwar von der Schulter bis auf die Knöchel reichte, aber die Blöße doch nur halb bedeckte, da es fast nur aus Löchern und ellenlangen Rissen bestand. An dem einen Fuß hatte er einen abgeschlurften rotledernen Pantoffel und an dem anderen einen Reisestiefel aus schwarzem Filz. Doch war auch dieser Filz so luftbedürftig geworden, daß er den Zehen einen ungehinderten Ausblick in alle Gegenden des türkischen Reiches gestattete. Seine Glatze hatte er mit einer alten Nachthaube für Frauen bedeckt, deren hinterer Teil nach vorn, der vordere Teil aber nach hinten zu liegen gekommen war, jedenfalls eine Folge der Eile, mit welcher er meinen gebrochenen Magen hatte Rettung bringen wollen.
„Herr, komm näher!“ sagte er. „Tritt herein in die armselige Gesundheitsfabrik, deines geringen Dieners!“
Er beugte den Kopf fast bis zur Erde und bewegte sich dabei storchartig rückwärts, bis hinter ihm ein schriller Weheruf erscholl:
„O jazik – o wehe! Kojun, basar sen nassyrlarmüz üzeri – Schaf, du trittst mir ja auf meine Hühneraugen!“
Er fuhr erschrocken empor und zur Seite. Da bekam ich das zarte Wesen zu sehen, welches diese sanften Worte gelispelt hatte.
Dasselbe schien aus einem Gesicht, einem uralten Teppich und zwei nackten, schrecklich schmutzigen Füßen zu bestehen. Dennoch waren diese Füße unendlich anziehender als das Gesicht. Der Besitzer der ‚Gesundheitsfabrik‘ war ein wahrer Apollo gegen sein Weibchen. Am liebsten widme ich der Schönheit ihres Antlitzes ein ohnmächtiges Schweigen.
Sie trat vor und verbeugte sich ebenso tief, wie vorhin ihr Gemahl.
„Chosch geldiniz Sultanum – willkommen hoher Herr!“ begrüßte sie mich. „Wir sind entzückt, die Morgenröte deines Angesichtes zu schauen. Was wünschest du von uns? Der Wasserfall unseres Gehorsams wird sich über dich ergießen.“
„Sen güzel tscha ilahessi bunum hejranli tschaghlagnün – und du bist die schöne Nymphe dieses entzückenden Wasserfalles!“ antwortete ich höflich, indem ich auch ihr eine respektvolle Verneigung machte.
Da klappte sie einige
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