16 - Im Schatten des Grossherrn 05 - Durch das Land der Skipetaren
drei, denen wir es abgenommen hatten, entflohen. Ihnen das Geld wiederzugeben, dieser Gedanke wäre Wahnsinn gewesen. Ich konnte jedenfalls gar nichts Besseres tun, als es armen, bedürftigen Leuten zu schenken. Und zu denen gehörte die Nebatja an erster Stelle.
Freilich durfte ich ihr nicht sagen, woher ich es hatte; sie hätte sich vielleicht geängstigt. Die ganze Summe wollte ich ihr freilich nicht geben; ich konnte sicher sein, noch genug ebenso Bedürftige zu finden, und ich wußte, daß der für sie bestimmte Anteil völlig ausreichen würde, um sie vor Not zu bewahren.
Sie war ganz starr vor freudigem Staunen, als ich ihr unter vier Augen das Geld gab. Sie wollte gar nicht glauben, daß eine solche Summe, welche für sie ein Reichtum war, ihr gehören könne. Die Tränen rollten ihr über die Wangen herab. Ganz besonders entzückt war sie davon, daß sie nun einen wirklichen Arzt für ihren Knaben haben könne. Ich mußte mich ihren Worten und Händedrücken mit Gewalt entziehen.
Halef hatte mich unterdessen mit Ungeduld erwartet. Er stand unter dem Tor und rief mir von weitem entgegen:
„Endlich, endlich, Sihdi! Wir haben's so eilig, und doch bleibst du so lange fort! Wie steht es denn mit dem Kunststück?“
„Sehr gut. – Ist der Wirt schon wach?“
„Alle sind bereits munter.“
„So will ich an den Herd. Ich muß kochen und schmelzen.“
„Ich werde dabei sein, und du wirst mir alles erklären, damit ich es nachmachen kann.“
„Nein, mein Lieber, mit dem Nachmachen ist es nichts. Es gehören einige Kenntnisse dazu, welche du nicht besitzt, und selbst derjenige, welcher dieselben hat, kann durch eine kleine Unachtsamkeit einen Fehler begehen, welcher ihm oder einem andern das Leben kostet. Darum werde ich niemals jemandem alle vier Ingredienzien nennen oder ihm die Art und Weise der Mischung verraten. Osco mag mir seine Kugelform mitbringen; sie hat das Kaliber der hiesigen Gewehrläufe.“
Unsere Vorbereitungen nahmen nicht mehr als eine halbe Stunde in Anspruch. Die Sadarblätter wurden in verdünntem Eau de Javelle gekocht, und die Lauge ward durch ein altes Leinentuch gegossen. Das vorhandene Metall gab acht Kugeln, welche reinen Bleikugeln täuschend ähnlich waren. Außerdem wurden mehrere Bleikugeln gegossen und mit der Messerspitze leicht gezeichnet. Dann ging ich mit Oscos Gewehr hinter das Haus, wobei mich niemand begleiten durfte. Ich lud eine der Quecksilberkugeln in den Lauf, hielt die Mündung nur anderthalb Fuß entfernt, gegen ein Brett und drückte ab. Der Schuß krachte, wie ein gewöhnlicher, aber das Brett war vollständig unversehrt. Am Boden zeigte sich nicht das kleinste Teilchen der zerstiebten Kugel.
Diese Probe war notwendig gewesen, denn nun wußte ich, daß kein Unglück geschehen könne. Einen Verrat hatte ich nicht zu befürchten, da nur Halef, Osco und Omar eingeweiht waren, und diese drei hatten mir ihre Verschwiegenheit zur Genüge bewiesen.
Das war alles noch zur rechten Zeit geschehen, denn als ich zurückkehrte, kam soeben der Kasi-Mufti mit dem Naib und dem Ajak Naib. Sie hatten noch andere dabei. Als der erstere mich bemerkte, ging er auf mich zu, zog mich zur Seite und sagte: „Effendi, ahnst du, weshalb ich komme?“
„Du willst mir melden, wie es mit dem Kodscha Bascha steht.“
„Nein, o nein! Ich möchte dich fragen, ob du deinen kleinen Hadschi um die Erlaubnis gefragt hast, daß ihm jemand eine Kugel durch den Kopf schießen darf.“
„Liegt dir das denn gar so sehr am Herzen?“
„Ja, denn es ist entsetzlich wunderbar. Hat er heute schon seine Koranblätter gegessen?“
„Frage ihn selbst!“
„Ich will ihn lieber nicht fragen, er könnte es übelnehmen. Weißt du, sein Messer! Und mit der Peitsche ist er auch so flink und freigiebig!“
„Ja, er ist ein wackerer kleiner Kerl.“
„Also sage: hast du ihn gefragt?“
„Ja, noch ehe wir schlafen gingen.“
„Und was hat er geantwortet?“
„Hm! Er schien nicht übel Lust zu haben.“
„Das wäre prächtig, herrlich! Wann kann die Geschichte beginnen?“
„Nur Geduld! Das geht nicht so schnell, wie du es wünschst. Mein Beschützer hat seine Eigenheiten. Übrigens habe ich dir gestern noch nicht alles gesagt. Wir alle – nämlich meine drei Begleiter und ich – haben die gleiche Eigenschaft. Wir brauchen uns vor keiner Kugel zu fürchten.“
„Was? – Auch du?“
„Wie ich dir sage.“
„So speisest auch du Koranblätter?“
„Frage nicht zu viel!
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