16 - Im Schatten des Grossherrn 05 - Durch das Land der Skipetaren
Störung entstehe, und sendet mir jetzt den Mann, den ihr für den besten Schützen haltet, mit seiner Flinte her.“
Es entstand ein halblautes Murmeln. Man suchte nach einem solchen Mann, und endlich trat einer vor, welcher sein Gewehr in der Hand hatte. Sonst sah ich überhaupt keinen, der mit einer Flinte bewaffnet war.
„Ist dein Gewehr geladen?“ fragte ich ihn laut.
„Ja“, antwortete er.
„Hast du mehrere Kugeln bei dir?“
„Nein, Herr.“
„Es schadet nichts, ich werde dir von den meinigen geben. Aber vorerst mußt du uns zeigen, daß du ein tüchtiger Schütze bist. Siehst du das neue Brett, welches man da an den Schuppen genagelt hat? Es ist ein Ast darin. Versuche einmal, denselben zu treffen.“
Der Mann trat zurück, legte an und schoß. Mehrere der Anwesenden sahen nach und fanden, daß er das Ziel nur um einen halben Zoll gefehlt hatte.
„Das ist nicht ganz gelungen“, sagte ich. „Versuche es noch einmal.“
Ich gab ihm eine der neugegossenen Bleikugeln. Osco lieferte die Munition dazu. Der zweite Schuß war besser: der Mann hatte jetzt sorgfältiger gezielt. Ich gab ihm nun drei der anderen Kugeln, nahm heimlich eine Bleikugel in die rechte Hand und sagte:
„Nun versuche, ob du in das Loch treffen kannst, welches du soeben in das Brett geschossen hast. Zeige aber vorher diesen Leuten die Kugeln, damit sie sich überzeugen, daß du richtig ladest.“
Die Kugeln gingen von Hand zu Hand, was einige Zeit in Anspruch nahm, da ein jeder sie sehen und befühlen wollte. Als er sie zurückerhalten hatte, lud er seine Flinte.
„Tritt näher!“ gebot ich ihm, indem ich ihn weiter nach dem Ziel hinschob. „Jetzt kannst du schießen.“
Bei diesen Worten stellte ich mich an das Brett. Er ließ das erhobene Gewehr wieder sinken.
„Herr“, sagte er, „wie kann ich denn so das Brett treffen?“
„Warum denn nicht?“
„Du stehst mir ja im Wege!“
„Das tut nichts.“
„Du hast grad deine Brust vor meinem Ziel.“
„So schieße hindurch.“
„O, Herr, dann bist du tot!“
„Nein. Ich will Euch ja zeigen, daß die Kugel mich nicht treffen darf.“
Er fuhr mit der Hand an den Kopf, um sich verlegen hinter dem Ohr zu kratzen.
„Das ist es ja eben!“ meinte er. „Die Sache ist sehr gefährlich für mich.“
„Wieso?“
„Die Kugel wird von dir abprallen und dann mir durch die Brust gehen.“
„Sei ohne Sorgen. Ich werde sie mit der Hand auffangen und festhalten.“
Ein Gemurmel des Erstaunens ging durch die Reihen der Anwesenden.
„Ist das auch wirklich wahr, Effendi? Ich bin der Ernährer einer Familie. Wenn ich sterbe, so wird nur Allah für sie sorgen.“
„Du stirbst nicht. Ich verspreche es dir beim Bart des Propheten.“
„Wenn du das sagst, so will ich es versuchen, Herr.“
„Schieße getrost!“
Ich hatte Toma, den Boten, scharf beobachtet. Er kam jetzt ganz nahe herbei und wendete kein Auge von mir. Der Schütze legte auf mich an. Er stand nur zehn oder elf Schritte von mir entfernt. Aber er senkte das Gewehr noch einmal und sagte:
„Ich habe noch nie auf einen Menschen gezielt. Herr, du verzeihst mir doch, wenn ich dich treffe?“
„Ich werde dir nichts zu verzeihen haben, denn du triffst mich nicht.“
„Aber wenn dennoch?“
„So darfst du dir keine Vorwürfe machen, denn ich habe es dir ja befohlen.“
Ich erhob die rechte Hand, ließ aber dabei heimlich die bleierne Kugel in den Ärmel rollen, zeigte hierauf die leere Hand und sagte:
„Mit dieser Hand werde ich die Kugel auffangen. Also ich zähle. Bei ‚drei‘ kannst du abdrücken.“
Ich ließ den Arm sinken und fing dabei die aus dem Ärmel rollende Kugel mit der hohlen Hand wieder auf. Es gab kein Auge, welches nicht auf mich gerichtet war.
„Eins – zwei – drei!“
Der Schuß krachte. Ich griff mit der Hand nach vorn, der Gewehrmündung entgegen, als ob ich die abgeschossene Kugel auffangen wollte, und hielt dann die bereitgehaltene Kugel zwischen Daumen und Mittelfinger empor.
„Hier hast du sie. Oder nimm du sie, Toma? Betrachte sie, ob es nicht dieselbe ist, welche in den Lauf gestoßen worden ist.“
Natürlich sah sie derselben ganz und gar ähnlich. Der Bote stand mit weit offenem Mund da und starrte mich an, gleichsam als wäre ich ein Gespenst. Die Wirkung auf die übrigen Leute war geringer. Man hatte wohl bis zum letzten Augenblick gezweifelt; nun aber war das vermeintliche Wunder dennoch geschehen. Die Kugel wurde weitergegeben. Als der Schütze
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