16 - Im Schatten des Grossherrn 05 - Durch das Land der Skipetaren
verwenden, wurde ihm dadurch ad oculos demonstriert.
„Ich kann nicht aufstehen, ich kann nicht aufstehen!“ rief er, indem er alle zehn Finger weit auseinander spreizte. „Mein Kaftan ist wie Glas, mein Kaftan zerbricht!“
Halef faßte den Fez bei der Zigarrenbändertroddel, nahm ihm denselben vom Haupt, auf welches er ihn vorhin wieder gestülpt hatte, hielt ihm die Mütze vor die Augen und sagte:
„Siehe, das ist die würdige Bedeckung deines gelehrten Hauptes. Wie gefällt sie dir?“
Der Fez bildete jetzt ein hartes, weißes, glockenförmiges Ding, welches genau die Form des Schädels angenommen hatte. Es war zu spaßhaft!
„Meine Mütze, meine Mütze!“ rief der Dicke. „Sie hat seit meiner Jugend auf meinem Haupt gesessen, und nun wird die Ehre ihres Alters und die Würdigkeit ihrer hohen Tage von euch Müflüslar (bankrotte Menschen) entweiht! Gib sie her!“
Er wollte nach ihr greifen. Als er den Arm erhob, begann der Gips seines Ärmels zu brechen.
„O jazik, o jazik, – o wehe, o wehe!“ schrie er. „Da geht das Heil meines Armes und die Gediegenheit meiner Extremitäten verloren! Was soll ich tun? Ich muß fort. Meine Patienten warten auf mich.“
Er wollte sich erheben; aber als der Kaftan abermals zu prasseln begann, sank er schnell wieder zurück.
„Habt ihr es gesehen? Habt ihr es gehört?“ fragte er in weinerlichem Ton. „Die Umrisse meiner Gestalt und die Linien meines Körperbaues bröckeln ab. Ich fühle, daß auch mein Inneres in Brocken zerfällt. Die Zierlichkeit des Ebenmaßes ist verschwunden, und die weiche Rundung der Taille hat sich in schauerliche Falten gelegt. Ihr habt mich zu einer Gestalt ohne Ansehen und zu einem Mann ohne Lieblichkeit gemacht. Die Bewunderung meiner Beschauer wird sich in Lachen und das Wohlgefallen ihrer Blicke sich in Spott verwandeln. Auf der Gasse wird man mit den Fingern auf mich zeigen, und im Gemach meiner Teuersten wird die Zärtlichkeit über den Verlust meiner Vorzüge klagen. Ich bin ein geschlagener Mann und kann mich nur gleich hinaus auf den Kirchhof schaffen lassen, wo die Zypresse ihre Tränen weint. O Allah, Allah, Allah!“
Sein Zorn hatte sich in Wehmut verwandelt. Der Verlust seiner Eleganz ging ihm nahe. Schon wollte man ihm durch erneutes Lachen antworten, da gebot ich durch eine Armbewegung Schweigen und antwortete ihm:
„Jammere nicht, Hekim! Deine Trauer wird sich in Freude verwandeln, denn du hast Gelegenheit gefunden, eine für dich hochwichtige Erfahrung zu machen.“
„Ja, diese Erfahrung habe ich gemacht, aber wichtig ist sie nicht für mich. Ich habe erfahren, daß man sich nicht mit Leuten abgeben soll, welche keine Bildung besitzen.“
„Meinst du etwa, daß sie bei dir zu finden sei, Hekim?“
„Ja, denn ich bin der Mann, der die kranken Leiber heilt und die müden Herzen erfrischt. Das ist die wahre Bildung.“
„Du bist der Mann, der dem Patienten sagt, daß seine Zunge nicht so imponierend sei, wie diejenige eines Rindes. Wenn du das Bildung nennst, so bist du freilich ein hochgebildeter Gelehrter. Wie du übrigens meiner Zunge ansehen willst, ob die Verrenkung meines Fußes gefährlich sei oder nicht, das begreife ich nicht.“
„Du wirst in deinem Leben noch sehr wenig begriffen haben. Das sehe ich dir an. Jedenfalls begreifst du auch nicht, daß ihr mich in eine Lage gebracht habt, welche meiner Ehre schadet und mein Ansehen im Lande begräbt.“
„Nein, das begreife ich allerdings nicht.“
„So ist deine Klugheit so kurz wie eine Kan sudschuki (Blutwurst), deine Dummheit aber so lang wie die Mötewazilar (Parallelkreise), die man um die Erde zieht. Und dennoch rümpfst du die Nase und sitzest da mit einem Gesicht und führst Reden, als ob du ein Professor aller möglichen Weisheiten seist.“
„Dir gegenüber bin ich auch ein Professor gewesen, denn ich habe dir praktischen Unterricht in der Lehre des Verbandes gegeben.“
„Davon habe ich freilich kein einziges Wort vernommen.“
„Ich sprach von einem praktischen Unterricht; da war vom Sprechen keine Rede. Was du jetzt gelernt hast, das kann dich zum berühmtesten Hekim aller Länder machen, welche der Padischah beherrscht.“
„Willst du mich auch noch verspotten? Wenn du wirklich so weise bist, wie du behauptest, so gib mir einen guten Rat, wie ich aus der Schale des Gipses herauskommen kann.“
„Davon nachher! Du hast mich ausgelacht, als ich dir sagte, daß man aus Gips einen Verband herstellen könne, und doch ist
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