16 Tante Dimity und das verhexte Haus (Aunt Dimity and the Family Tree)
entpuppt.« Ich stupste das Gemälde behutsam mit der Fußspitze an. » Ein Arbeiter hat dieses monströse Ding unter einem Schutthaufen im alten Stall gefunden. Wenn es meines wäre, würde ich es zum Sperrmüll geben.«
» Wenn es gesäubert ist, werden Sie es vielleicht mehr schätzen, wer weiß. Ich glaube, es ist spätviktorianisch.« Deirdre lächelte flüchtig. » Zumindest dem Rahmen nach zu urteilen, aber ich kann mich auch irren.«
» Sie erstaunen mich«, sagte ich und sah sie verstohlen von der Seite an. » Wo haben Sie gelernt, Gemälderahmen zu datieren?«
» In Oxford. Ich habe im Rahmen meines Bachelor-Studiums Seminare in Kunstgeschichte belegt. Einer meiner Tutoren hatte ein Faible für Rahmen, weswegen ich eine Menge über Rahmenfertigung gelernt habe– › die Kunst, die Kunst umrahmt‹, wie er zu sagen pflegte.«
Deirdres Neigung, sich mit Wissen auf immer neuen Gebieten hervorzutun, begann mir Verdruss zu bereiten. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, warum eine Frau, die kochen konnte wie Escoffier, sechs Sprachen sprach, wusste, wie man Schafe züchtet, und an einem Oxforder College Kunstgeschichte studiert hatte, sich damit zufriedengab, als Haushälterin zu arbeiten.
» Wenn Sie mir die Frage erlauben«, sagte ich, » was hat Sie dazu bewogen, nach Fairworth House zu kommen?«
Deirdre löste den Blick von dem Bild und sah mich an. » Haben Sie die Unterlagen nicht gelesen, die Mrs Trent Ihnen geschickt hat?«
» Noch nicht. Ich habe in letzter Zeit viel um die Ohren gehabt, mit der Einweihungsparty und allem Möglichem.«
» Dann werde ich Ihnen eine kurze Zusammenfassung davon geben«, sagte sie. » Nachdem Declan und ich geheiratet hatten, beschlossen wir, uns selbstständig zu machen. Wir eröffneten in Connemara ein Gästehaus, im Westen von Irland, wo Declans Familie herstammt.«
» Und dort haben Sie sich dann Ihr Wissen über Schafe angeeignet?«
» Ja«, sagte sie leicht überrascht. » Man kann nicht längere Zeit in Irland leben, ohne etwas über Schafzucht mitzubekommen. Wie auch immer, unser Gästehaus lief in den ersten vier Jahren recht gut, aber im fünften Jahr tauchte eine Reihe von Problemen auf, die extrem kostspielige Reparaturen erforderten: Ein Orkan hatte das Dach teilweise abgerissen, ein Fettbrand die Küche ruiniert…« Sie schüttelte wehmütig den Kopf. » Die Schäden infolge eines explodierten Boilers brachten das Fass zum Überlaufen. Wir entschlossen uns, das Gästehaus zu verkaufen und beruflich neue Wege einzuschlagen.«
» Aber warum ausgerechnet diesen Weg?«, wollte ich wissen.
» Warum nicht?«, gab sie zurück. » Declan und ich wollen zusammenarbeiten, und wir sind gut in dem, was wir tun. Wir bekommen ein angemessenes Gehalt, können in einem alten Herrenhaus inmitten einer der schönsten ländlichen Gegenden Englands leben, und wir haben einen gewissen Grad an Unabhängigkeit, ohne die volle Verantwortung zu tragen.« Sie ließ den Blick durch das sonnendurchflutete Arbeitszimmer schweifen und lächelte. » Ich kann mir kaum ein schöneres Leben vorstellen. Sie?«
Ja, dachte ich, mein Leben zum Beispiel. Aber ich konnte ihren Standpunkt durchaus nachvollziehen. Ein Herrenhaus zu managen war allemal besser, als in einer großen Firma Dienst nach Stechuhr zu verrichten, und wenn einmal das Dach undicht war, würde Willis senior die Reparaturkosten tragen.
» Klingt logisch«, sagte ich. » Danke.«
» Nichts für ungut. Bitte stellen Sie mir alle Fragen, die Sie beschäftigen, Lori. Das ist doch für eine treu sorgende Schwiegertochter nur verständlich.«
Die Tür ging wieder auf, und Declan kam herein. Deirdre und ich traten sicherheitshalber ein Stück zurück, während er das schmutzige Bild in ein Möbelabdecktuch wickelte.
» Geben Sie Acht, dass Sie sich nicht an dem zerbrochenen Glas schneiden«, warnte ich ihn. » Wenn es nach mir gegangen wäre, wäre das Ding nur mit einer großen Zange angepackt und schnurstracks entsorgt worden, aber William hat darauf bestanden, es restaurieren zu lassen.«
» Nichts passiert«, sagte Declan und wischte sich die Hände an seiner Jeans ab. » Ich lege jetzt dieses Unikum in Ihren Kofferraum, Lori, dann können Sie es rechtzeitig fortschaffen, bevor das Verwechslungsstück beginnt.«
» Apropos Verwechslungsstück…« Deirdre drehte sich zu mir um. » Mr Willis hat gesagt, er wisse nicht, wann Señor Cocinero morgen eintrifft, aber vielleicht können Sie mir ja sagen, wann
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