16 Tante Dimity und das verhexte Haus (Aunt Dimity and the Family Tree)
bis er auftaucht? Da wir nicht wissen, wann er eintrifft, könnte es sein, dass du den ganzen Tag dort zubringen musst.«
» Überlass das mir«, sagte ich. » Ich weiß, wie ich die Zeit in Finch totschlagen kann. Wenn ich das alte Bild im Crabtree Cottage abgeliefert habe, kann ich zu Bills Büro rüberschlendern, dann in Peggys Laden einkaufen, eine Limonade vor dem Pub schlürfen und in der Teestube einen Mittagsimbiss zu mir nehmen. Den einen oder anderen unvorhergesehenen Plausch mit eingerechnet, wird es mir ohne Weiteres gelingen, zehn Stunden im Dorf zu verbringen. Allerdings weiß ich nicht, wie ich Henrique erkennen soll, ich hab keine Ahnung, wie dieser Mann aussieht.«
» Señor Cocinero ist nach allem, was wir gehört haben, ein wohlhabender mexikanischer Gentleman in mittleren Jahren«, rief mir Willis senior ins Gedächtnis. » Bestimmt wird er auffallen wie ein bunter Hund, wenn er durchs Dorf fährt.«
» Da könntest du recht haben. Und ganz egal, aus welchem Grund er im Dorf Halt machen sollte, werde ich mich ihm vorstellen, zu ihm in den Wagen hüpfen und ihn entführen, bevor jemand ihn ins Kreuzverhör nehmen kann.«
» Ausgezeichnet.« Willis senior warf einen Blick auf seine Taschenuhr und ließ sie wieder in die Westentasche gleiten. » Ich werde dich nun verlassen, da ich mich um Lady Sarahs Bildung kümmern muss. Ich habe nur noch eine letzte Frage: Hast du zufällig den Messingkompass aus dem Billardzimmer entfernt?«
» Nein«, erwiderte ich und legte die Stirn in Falten. » Warum, ist er nicht mehr dort?«
» Nicht an seinem Platz zumindest.«
Meine Stirnfalten vertieften sich. » Du glaubst doch nicht, jemand könnte ihn bei der Party…«
» Ganz bestimmt nicht«, unterbrach mich Willis senior. » Du solltest meinen werten Gästen mehr Respekt zollen, Lori. Wenn ein Dieb unter ihnen gewesen wäre, hätte er oder sie gewiss etwas Wertvolleres als den Kompass mitgehen lassen.«
» Wo ist er denn dann?«, fragte ich.
» Mrs Donovan hat ihn vielleicht in die Küche mitgenommen, um ihn zu polieren. Sie ist eine sorgfältige und gewissenhafte Haushälterin.« Willis senior atmete die frische Landluft tief ein und rieb sich kräftig die Hände. » So, nun wünsche ich dir einen schönen Sonntagabend, meine Liebe. Ich muss gestehen, ich freue mich darauf, Mrs Pyne in Lady Sarah zu verwandeln. Ich fühle mich ebenso motiviert wie Professor Henry Higgins, als er sich vornahm, aus Eliza Doolittle eine Dame zu machen.«
Eine kesse Melodie aus » My Fair Lady« auf den Lippen, stieg Willis senior die Eingangsstufen hinauf, während ich ihm mit offenem Mund nachstarrte.
Noch nie zuvor hatte ich meinen Schwiegervater pfeifen hören.
» Es liegt an der frischen Farbe«, murmelte ich vor mich hin. » Die Dämpfe haben ihn verwirrt.«
Ich schüttelte den Kopf und ging, nicht minder verdattert als Sally Pyne, zum Wagen zurück.
8
»Es liegt an der frischen Farbe«, wiederholte ich bestimmt, während ich auf das blaue Notizbuch in meinem Schoß hinabsah. » Die Dämpfe haben Williams Verstand vernebelt.«
Die Kaminuhr im Arbeitszimmer hatte soeben halb zehn geschlagen. Meine Söhne, mein Mann und die Katze meines Mannes waren im Bett und schliefen. Nur Reginald war noch wach und leistete mir Gesellschaft, während ich mich mit Tante Dimity unterhielt. Seine schwarzen Knopfaugen glitzerten aufmerksam im Schein des Kaminfeuers.
» Ich sag’s dir, Dimity, William ist nicht er selbst. Er hat die Donovans vom Fleck weg eingestellt, er hat sich ohne Umschweife bereiterklärt, Lady Sarahs amerikanischen Cousin zu spielen, faselt nach wie vor etwas von Schafzucht, und nun pfeift er auch noch! Was kommt als Nächstes? Table-Dancing?« Ich schüttelte besorgt den Kopf. » Es muss an der Farbe liegen. Schließlich ist es erwiesen, dass Farbdämpfe das Gehirn eines Menschen schädigen können.«
Als ich innehielt, um nachdenklich an meinem Daumennagel zu kauen, kringelte sich Tante Dimitys vertraute Handschrift über die weiße Seite.
Mit Williams Gehirn ist alles in Ordnung, Lori. Zunächst ist es absolut unrichtig, wenn Du sagst, er habe die Donovans vom Fleck weg eingestellt. Du hast mir doch selbst erzählt, dass er ihre Bewerbungsunterlagen vorher sorgfältig geprüft hat.
» Ja, das hat er«, gab ich widerstrebend zu. » Aber was ist mit dem Rest?«
Ich würde Williams untypisches Verhalten eher seiner Pensionierung zuschreiben als irgendwelchen Farbdämpfen. Aktive Männer fürchten
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