16 Tante Dimity und das verhexte Haus (Aunt Dimity and the Family Tree)
erschien es mir ebenso unwahrscheinlich, dass ein Auswärtiger das Crabtree Cottage ausgeraubt haben könnte. Finch war das Gegenteil von einem Touristenmekka. Es lag so weit weg von den ausgetretenen Pfaden, dass nur wenige Fremde von dessen Existenz wussten.
Es sei denn natürlich, man zählte die Auswärtigen dazu, die kürzlich in Fairworth House eingezogen waren. Ich rief mir Tante Dimitys warnende Worte ins Gedächtnis und befahl mir, bezüglich der Donovans unvoreingenommen zu bleiben. Doch als ich an Willis seniors Auffahrt vorbeifuhr, kam ich nicht umhin, mich zu erinnern, dass er in der Nacht von Montag auf Dienstag gehört hatte, wie jemand zur nachtschlafenden Zeit von zwei Uhr siebenundfünfzig den Aufzug benutzt hatte.
» Grant und Charles sind am Montag weggefahren und am Mittwoch wiedergekommen«, murmelte ich, während ich über die Buckelbrücke holperte. » Im Crabtree Cottage wurde irgendwann zwischen Montag und Mittwoch eingebrochen. In Fairworth House hat jemand Montagnacht den Aufzug benutzt. Das hat nichts mit einer Vorverurteilung zu tun, Dimity. Ich bin nur dabei, nackte, harte Tatsachen zu resümieren.«
Als ich eintraf, hatte sich vor dem Crabtree Cottage bereits eine beträchtliche Anzahl von Dorfbewohnern versammelt. Unter normalen Umständen hätte ich mich sofort in die Gerüchteparty gestürzt, aber Charles’ Bedürfnisse waren jetzt wichtiger als meine, und so bahnte ich mir höflich, aber bestimmt einen Weg zwischen den Umstehenden bis zur Vordertür.
» Charles?«, rief ich, während ich den schmalen Flur entlangspähte, der zum Wohntrakt führte.
Am anderen Ende des Flurs erschien Charles Bellingham und winkte mich hektisch zu sich. Bislang konnte ich keine Anzeichen einer Plünderung ausmachen. Sein Büro sah wie üblich wie aus dem Ei gepellt aus. Die Esszimmerstühle standen aufrecht am Tisch. An den Flurwänden hingen die gerahmten Aquarelle wie immer tadellos ausgerichtet. Charles indes war das reinste Nervenbündel. Er knetete nervös die Hände und trat von einem Bein aufs andere. Als ich bei ihm ankam, legte er mir einen Arm um die Schultern und sprach mit der gedämpften Stimme einer Krankenschwester auf der Intensivstation.
» Grant ist mit Goya und Matisse im Garten«, sagte er. » Die Hunde haben ihn ein bisschen beruhigt, aber er ist noch immer im Schockzustand. Du musst ihm sagen, dass es nicht seine Schuld ist.«
» Was soll nicht seine Schuld sein? Entschuldige, Charles, aber ich hab ja keine Ahnung, was vorgefallen ist.«
» Grant soll es dir erklären. Er ist schließlich ein Anhänger der Gesprächstherapie, aber ich habe ihm trotzdem einen großen Schluck Gin Tonic eingeschenkt, um den Prozess zu beschleunigen. Kann ich dir auch etwas zu trinken anbieten?«
» Nein, danke. Es ist wohl besser, wenn ich einen klaren Kopf behalte.«
» Wenn alle anderen um einen herum ihren verlieren«, zitierte er. » Kipling hat sich mit Traumata ausgekannt. Für mich ist er einer der meist unterschätzten Dichter Englands. Die zeitgenössischen Kritiker mögen ja über seine Gedichte mit ihren Knittelversen die Nase rümpfen, aber meiner Meinung nach…«
» Charles?«, unterbrach ich ihn sanft. » Grant?«
» Tut mir leid.« Er presste den Handrücken an die Stirn. » Konzentrier dich, Charles, konzentrier dich.« Er atmete tief durch die Nase ein und durch den Mund wieder aus, dann ließ er die Hand wieder sinken. » Gut, bin wieder da. Lass uns gehen.«
Charles führte mich durch die Küche und in den hübschesten Garten von ganz Finch. Er war überwuchert und unordentlich und hätte keine Chance auf einen Preis bei einem Gartenwettbewerb gehabt, und doch liebte ich jeden Quadratzentimeter davon, angefangen von den altmodischen Prunkwinden, die die Steinmauern zierten, bis zu den unbezähmbaren Thymianbüscheln entlang der rötlichen Ziegelpflasterwege.
Ein alter Eichentisch und zwei wacklige, nicht zueinander passende Stühle standen in der Mitte des Gartens, zwei weitere Stühle waren neben die Bambus-Chaiselongue gerückt worden, auf der Grant im Schatten des knorrigen Holzapfelbaums lag, dem das Cottage seinen Namen verdankte. Ein sehr ordentlich eingeschenkter Gin Tonic stand auf einem kleinen schmiedeeisernen Tisch neben der Liege.
Grant hatte die Augen geschlossen, aber die beiden Hunde, die mit ihm die Chaiselongue teilten, waren hellwach und hocherfreut über meinen Besuch. Als sie mich von der Küche in den Garten treten sahen, sprangen sie von
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