16 Tante Dimity und das verhexte Haus (Aunt Dimity and the Family Tree)
ihrem Ruheplatz auf und begrüßten mich stürmisch. Während ich mich bückte, um sie hinter den Ohren zu kraulen, schlich Charles auf Zehenspitzen zu seinem Freund hinüber.
» Grant?«, sagte er sanft. » Lori ist hier.«
Grant schlug die Augen auf und blinzelte zuerst Charles an, dann mich. Einen Moment lang sah er wieder weg, dann zuckte er resigniert die Schultern und bedeutete mir, mich auf den Stuhl neben dem schmiedeeisernen Tisch zu setzen. Charles half Grant, einen Schluck von seinem Drink zu nehmen, und ließ sich dann auf den zweiten Stuhl sinken, der bedrohlich schwankte, bis er ihn an eine ebenere Stelle auf den Pflastersteinen gerückt hatte. Goya und Matisse trotteten davon, um das undurchdringliche Dickicht aus Farnkrautwedeln zu erforschen.
» Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, begann Grant mit zitternder Stimme. » Dass in London solche Dinge passieren, nun ja, da ist es ja an der Tagesordnung, aber in Finch, nie im Leben hätte ich hier damit gerechnet. Deshalb habe ich… ich…« Seine Worte verebbten, und er schüttelte den Kopf, als könnte er nicht weiterreden.
Geduld zählt nicht zu meinen Stärken. Ich war nicht gewillt, einen halben Tag damit zuzubringen, Grant jedes Wort einzeln aus dem Mund zu ziehen, und beschloss daher, eine Dosis Schockbehandlung zu dem Therapie-Mix beizusteuern.
» Wie ich sehe, bist du nicht in der Lage, einen zusammenhängenden Satz zu sprechen, mein Freund«, sagte ich und stand auf. » Ruf mich doch bitte an, sobald es dir besser geht, du hast ja meine Nummer.«
Grant ergriff erschrocken meine Hand. » Du kannst jetzt nicht gehen!«
» Dann erzähl mir, was passiert ist«, sagte ich streng, » und zwar möglichst ohne jede Theatralik.«
» Gut«, erwiderte er grummelnd, » aber setz dich wieder hin, sonst bekomme ich einen steifen Nacken.«
Ich setzte mich.
» Du bist schlimmer als der Constable«, murmelte Grant, doch dann sprach er mit ziemlich gefasster Stimme weiter. » Um neun Uhr heute Morgen sind Charles und ich aus London zurückgekommen. Zuerst sind wir mit Matisse und Goya auf den Dorfanger gegangen, um sie ein bisschen herumspringen zu lassen, dann haben wir unsere Taschen ausgepackt, die Post durchgesehen – die üblichen Dinge halt, die man nach einer Reise tut. Um ungefähr halb zehn bin ich in mein Atelier gegangen, um die Restaurierungsarbeiten an dem Familienstammbaum fortzusetzen. Erst da habe ich bemerkt, dass der ganze Raum auf den Kopf gestellt wurde.« Er nahm einen ausgiebigen Schluck von seinem Gin Tonic – ohne Charles’ Hilfe diesmal – und tupfte sich mit der Fingerspitze die Mundwinkel ab. » Ich will nicht wieder emotional werden«, fuhr er fort, » also verzichte ich darauf, die Szene en détail zu beschreiben. Nur so viel sei gesagt: Mein Atelier glich einem Schlachtfeld.«
» Da habe ich einen entsetzlichen Schrei vernommen«, fuhr Charles fort, » und bin in den ersten Stock hinaufgerannt, um Grant buchstäblich kurz vor dem Kollaps vorzufinden. Ich habe ihn hinuntergebracht, damit er sich von dem ersten Schock erholt– der Garten hat ja eine so tröstende Wirkung–, dann habe ich bei der Polizei in Upper Deeping angerufen. Um halb elf ist ein Constable gekommen. Er war nicht besonders einfühlsam, als Grant ihm sagte, dass…«
» Es ist mein Fehler«, murmelte Grant und ließ den Kopf hängen. » Es ist allein meine Schuld. Weißt du, Lori, als Charles und ich nach London abgereist sind, habe ich… ich habe die Tür nicht abgeschlossen.«
» Na und?«, sagte ich. » Ich schließe nie die Tür ab. Ich glaube, im ganzen Dorf gibt es keine verschlossene Tür, höchstens in Fairworth House, und das nur weil William neu hier ist. Finch ist kein Ort, wo man die Haustür verschließt.«
» Das dachten wir ja auch«, sagte Grant reumütig. » Bis heute.«
» Heute ist eine Ausnahme von der Regel. Lasst euch davon nicht euren Seelenfrieden rauben.« Ich legte ihm tröstend die Hand auf den Arm. » Konnte der Constable irgendwelche Hinweise entdecken?«
» Nicht den allerkleinsten«, erwiderte Grant. » Ich hätte eigentlich gedacht, er würde Fuß- oder Fingerabdrücke finden, oder beides, aber der Regen muss die Fußabdrücke weggewischt haben, und der Dieb hat wohl Handschuhe getragen, weil keine Fingerabdrücke zu sehen sind.«
» Hat er die Nachbarn befragt, ob ihnen etwas aufgefallen ist?«, fragte ich.
» Ja«, antwortete Charles. » Aber nachdem sie ihn mit irgendwelchen Geschichten von einem
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