Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
16 Uhr 50 ab Paddington

16 Uhr 50 ab Paddington

Titel: 16 Uhr 50 ab Paddington Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
Vom Netzwerk:
im Winter in dieser zugigen alten Scheune einen Mann. Ich würde mich ja bedanken!»
    «Es ist allerdings verblüffend», bestätigte Inspector Craddock.
    «Stimmt es, dass sie Ausländerin war? Ich habe so etwas läuten gehört.»
    «Fällt Ihnen dazu etwas ein?» Der Inspector sah ihn prüfend an, aber Bryans Miene blieb freundlich und nichtssagend.
    «Nein, gar nichts, ehrlich gesagt.»
    «Sie stammte vielleicht aus Frankreich», sagte Inspector Bacon mit einem Anflug von Argwohn.
    Bryan wurde etwas lebhafter. Seine blauen Augen huschten etwas interessierter umher, und er zwirbelte seinen buschigen blonden Schnurrbart.
    «Ach ja? Paris et l’amour?» Er schüttelte den Kopf. «Alles in allem macht es das nur unwahrscheinlicher, oder? Ein Herumturteln in der Scheune, meine ich. Oder haben Sie zufällig noch andere Sarkophagmorde? Dass ein Kerl mit einem Trieb dahintersteckt – oder einem Komplex? Sich für Caligula oder so hält?»
    Inspector Craddock machte sich nicht einmal die Mühe, diese Mutmaßung zu entkräften. Stattdessen fragte er beiläufig:
    «In der Familie hat niemand zufällig Verbindungen nach Frankreich oder – oder – Verwandte, von denen Sie wüssten?»
    Bryan verneinte; die Crackenthorpes hätten für l’amour nicht viel übrig.
    «Harold ist anständig verheiratet», sagte er. «Ein Fischgesicht von Frau, Tochter eines verarmten Peers. Alfred macht sich, glaube ich, nicht viel aus Frauen – verbringt sein Leben lieber mit Mauscheleien, die am Ende meistens in die Binsen gehen. Ich könnte mir denken, dass Cedric ein paar spanische Senoritas hat, die auf Ibiza nach seiner Pfeife tanzen. Die Frauen fliegen auf ihn. Rasiert sich zwar kaum je und sieht aus, als würde er sich nie waschen. Verstehe ja nicht, warum das auf Frauen so anziehend wirkt, aber anscheinend tut es das – also hilfreich bin ich Ihnen nicht gerade, was?»
    Er grinste sie an.
    «Halten Sie sich lieber an meinen Alexander. Der ist mit James Stoddart-West unterwegs und sucht im großen Stil nach Beweisen. Wetten, die stöbern irgendetwas auf?»
    Inspector Craddock sagte, das hoffe er. Dann dankte er Bryan Eastley und sagte, er würde sich als Nächstes gern mit Miss Crackenthorpe unterhalten.
     
    III
     
    Inspector Craddock betrachtete Emma Crackenthorpe eingehender als zuvor. Die Miene, mit der sie ihn vor dem Mittagessen überrascht hatte, ging ihm nicht aus dem Kopf.
    Eine ruhige Frau. Nicht dumm. Aber auch kein Schlaumeier. Eine von diesen netten, sympathischen Frauen, die von Männern leicht als selbstverständlich hingenommen wurden, und die sich auf die Kunst verstanden, aus einem Haus ein Zuhause zu machen und eine Atmosphäre der Behaglichkeit und Eintracht herzustellen. Emma Crackenthorpe hielt er für eine solche Frau.
    Solche Frauen wurden oft verkannt. Hinter ihrem ruhigen Äußeren verbarg sich Charakterstärke, und man durfte sie nicht unterschätzen. Vielleicht, mutmaßte Craddock, ruhte der Schlüssel zum Geheimnis der Toten im Sarkophag in den tiefsten Tiefen von Emmas Geist.
    Während ihm das alles durch den Kopf ging, stellte er eine Reihe unwichtiger Fragen.
    «Ich nehme an, das meiste haben Sie Inspector Bacon bereits erklärt», sagte er. «Wahrscheinlich muss ich Sie also kaum noch mit Fragen belästigen.»
    «Fragen Sie ruhig, was Sie möchten.»
    «Wie Mr. Wimborne Ihnen bereits gesagt hat, sind wir zu dem Schluss gelangt, dass die Tote nicht von hier stammte. Das ist vielleicht eine Erleichterung für Sie – Mr. Wimborne nahm das jedenfalls an –, aber unsere Arbeit erschwert es. Die Tote ist dadurch weniger leicht zu identifizieren.»
    «Hatte sie denn gar nichts dabei? Eine Handtasche? Papiere?»
    Craddock schüttelte den Kopf.
    «Keine Handtasche, nichts im Mantel.»
    «Sie haben keine Ahnung, wie sie hieß – oder woher sie kam – gar nichts?»
    «Sie will es wissen», dachte Craddock, «sie muss partout erfahren, wer diese Frau war. Ob es ihr schon die ganze Zeit so geht? Bacon hatte offenbar nicht den Eindruck – und der lässt sich nicht so leicht was vormachen…»
    «Wir wissen nichts über sie», sagte er. «Deswegen bauen wir auf Ihre Hilfe. Sind Sie sicher, dass Sie uns nicht helfen können? Selbst wenn Sie sie nicht erkannt haben – können Sie sich denken, wer sie vielleicht sein könnte?»
    Vielleicht bildete er es sich nur ein, aber er hatte den Eindruck, dass sie mit der Antwort einen Moment zögerte.
    «Ich habe nicht die leiseste Ahnung», sagte sie dann.
    Inspector

Weitere Kostenlose Bücher