160 - Martin, Deborah - Die amerikanische Braut
„Lord Ravenswood, ist das nicht der Innenminister, der dort drüben mit Lord Liverpool unter der großen Kastanie steht?“
„Ja. Ich werde ihn am besten begrüßen.“
Sobald Spencer außer Hörweite war, wandte sich Clara an Abby: „Weißt du, eine Dame zu sein und seine Meinung zu sagen muss kein Widerspruch sein.“
„Für Spencer schon. Ich will nicht mehr, dass er auf mich herabblickt.“
Clara nahm einem der Hausdiener zwei Gläser Punsch ab und reichte Abby eines. „Ich denke nicht, dass er das tut. Auch wenn er zunächst nicht diesen Eindruck macht, aber dein Mann ist für jemanden seiner Klasse sehr fortschrittlich eingestellt. Er beurteilt Menschen danach, wer sie wirklich sind, und nicht danach, wie die Gesellschaft ihnen vorgibt zu sein.“
Abby schluckte. „Bei mir scheint er das anders zu sehen.“
Clara schaute sie verwundert an.
Abby nahm schnell einen Schluck Punsch. „Warum glaubst du, hat er unsere Ehe nicht sofort wieder aufgelöst? Nicht weil er vorhatte, mit mir verheiratet zu bleiben, sondern einzig, um einen noch größeren Skandal zu vermeiden.“
Als ob er spürte, dass sie über ihn redeten, sah Spencer nun zu ihnen herüber. Als er Abby anschaute, lächelte er.
Abby wendete sich ab und drehte Spencer den Rücken zu. „Spencer hat mir oft zu verstehen gegeben, dass ich nicht die Frau bin, die er sich wünscht. Mir fehlt der richtige Schliff, um ein Leben an seiner Seite zu führen.“
Clara betrachtete sie erstaunt. „Das hat er gesagt?“
„Er muss es nicht sagen – sein Verhalten spricht Bände.“
Clara nippte an ihrem Punsch. „Ich weiß nicht, Abby. Sieh nur, wie er dich anschaut.“
Abby folgte Claras Blick. Spencer sah immer noch zu ihr herüber und schien seinen Begleitern nur wenig Aufmerksamkeit zu schenken. Sein Lächeln war verschwunden, aber sein begehrlicher Bück wanderte über ihren Körper …
„Die Hälfte aller hier anwesenden Frauen würde viel dafür geben, wenn ihre Ehemänner sie nur einmal so anschauen würden“, meinte Clara.
„Er sieht nur meinen Körper – der Rest interessiert ihn nicht.“
„Das glaube ich nicht. Ich kenne Spencer schon sehr lange, und ich habe ihn noch nie so erlebt. Das ist nicht bloßes Verlangen … ich glaube, er empfindet eine tiefe Sehnsucht …“
Abby schnaubte verächtlich. „Spencer weiß doch gar nicht, was es bedeutet, sich nach etwas zu sehnen. Er hat alles, was er sich nur wünschen kann.“
„Männer wissen oftmals selbst nicht, was ihnen fehlt. Oh ja, sie wissen, wonach es ihnen verlangt, aber sie wissen meist nicht, was sie brauchen. Und Lord Ravenswood braucht dich.“
Abby würde das gerne glauben, doch sie traute sich nicht. Ihre Hoffnungen waren schon zu oft zerschlagen worden.
„Du solltest ihn noch nicht aufgeben.“ Clara betrachtete sie schmunzelnd. „Und wenn er sich wirklich an deinem mangelnden Schliff stört – das lässt sich leicht beheben. Und du hast schon große Fortschritte gemacht.“
Abby lächelte bitter. „Ja, natürlich. Seit ich weiß, welchen Knicks ich vor einem Duke zu machen habe, bin ich sicher auf dem besten Wege, eine richtige Viscountess zu werden.“
„Du weißt genau, was ich meine. Du bist schon viel selbstbewusster geworden, und du passt hierher.“
„Das ist nett von dir, Clara, aber uns ist doch beiden klar, dass ich nicht hierher gehöre. Ich habe keine Verbindungen, kein Vermögen …“
„Lord Ravenswood hatte in den letzten Jahren ausreichend Gelegenheit, eine Frau zu heiraten, die all das hat – aber er hat es nicht getan. Du bist die erste Frau, für die er sich ernsthaft interessiert.“
Abby wollte etwas einwenden, doch Clara fuhr schnell fort: „Und sage nicht wieder, dass ihm keine andere Wahl blieb. Er hätte dich auch als seine Geliebte ausgeben können oder dir die Überfahrt zahlen und dich mit dem ersten Schiff nach Amerika zurückschicken … aber er hat es nicht getan. Du bedeutest ihm mehr, als du denkst. Er respektiert dich.“
Konnte ihre Freundin Recht haben? Abby schaute sie nachdenklich an.
Clara neigte sich ihr vertraulich zu. „Ich habe eine Idee, wie du Spencer auf die Probe stellen kannst. Geh zu ihm, während er sich noch mit Sir Robert Peel und Lord Liverpool unterhält. Von den beiden hängt seine berufliche Zukunft ab. Wenn Spencer sich wirklich für dich schämt, wird er dich nicht in ihrer Nähe dulden – dann hättest du den Beweis für deine Vermutungen.“
„Ich könnte mich auch vor ein
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