160 - Martin, Deborah - Die amerikanische Braut
Ton verunsicherte sie. Was wollte dieser Mann eigentlich? Sie hatte nur getan, worum er sie während der letzten Woche gebeten hatte. Sie hatte all ihre Hoffnungen auf eine gemeinsame Zukunft mit ihm fahren lassen und ihre Beziehung nur noch als freundschaftlich begriffen. Aber das schien ihm auch nicht recht zu sein – die letzten zwei Tage war seine Laune unerträglich gewesen.
Konnte es sein, dass ihre Verwandlung schon Wirkung zeigte? Vielleicht bereute er seine Entscheidung bereits.
Aber Spencer hatte das Beste ja noch gar nicht erlebt! Clara hatte Abby in allen Regeln, Gepflogenheiten und Absonderlichkeiten der feinen Gesellschaft unterwiesen. Heute würde sie Spencer mit ihren neu erworbenen Fähigkeiten beeindrucken!
Als sie bei Lady Brumley eintrafen, atmete Abby tief durch. Nun musste sie zeigen, was sie gelernt hatte. Wenn sie dieses gesellschaftliche Ereignis gut überstand, würde sie sicher auch die Begegnung mit dem König meistern.
Wenn sie nur nicht solchen großen Hunger hätte! Es verstieß sicher gegen die Regeln des guten Benehmens, sich sofort auf das Essen zu stürzen …
Als sie den Garten betraten, entdeckte Abby zum Glück Clara, die allein im Schatten eines Weißdornstrauches stand. Clara musste sie nichts vorspielen. „Entschuldigen Sie mich“, wandte sie sich an ihre Begleiter. „Ich möchte kurz eine Freundin begrüßen.“
Lady Tyndale und Evelina nickten höflich, aber zu Abbys Verdruss heftete Spencer sich an ihre Fersen. Warum musste er ausgerechnet jetzt ihre Nähe suchen?
„Es tut mir Leid, dass du auf mich warten musstest“, sagte er.
„Aber das ist doch überhaupt kein Problem.“ Wenn sie nicht wollte, dass er sah, wie sie sich gleich völlig ausgehungert über das Büfett hermachte, musste sie ihn loswerden. „Du musst mich nicht begleiten. Ich komme schon zurecht.“
Spencer schien sie aber nicht verstehen zu wollen. „Ich muss dich wirklich sehr verärgert haben, wenn du mich gleich wieder loswerden willst.“
„Ich bin nicht verärgert, Spencer.“ Nein, sie war am Verhungern! „Eine Lady ist niemals verärgert. Das schickt sich nicht“, fügte sie in der Tonlage hinzu, die Clara ihr beigebracht hatte.
Wie sie diese Wendung hasste! Immer musste sich alles „schicken“! Und nur weil es sich nicht schickte, war sie immer noch nicht am Büfett …
Aber jetzt hatte Clara sie entdeckt und kam ihnen entgegen. Nachdem sie einander begrüßt hatten, meinte Spencer: „Würden Sie Abby bitte beruhigen, dass Lady Brumley wahrscheinlich nicht einmal bemerkt hat, dass wir zu spät gekommen sind?“
Clara lachte. „Ja, es ist schick geworden, unpünktlich zu sein!“
„Das habe ich gemerkt.“ Abby bückte sehnsüchtig zu der verlockenden Speisetafel. „Mein Mann ist von dem Thema nicht abzubringen.“
„Weil ich weiß, dass du verärgert bist“, entgegnete Spencer. „Du schaust mich ja nicht einmal an!“
„Warum sollte ich denn verärgert sein?“ fragte Abby ihn mit einem süßen Lächeln.
„Das weißt du ganz genau“, brauste Spencer auf. „Ich habe dich warten lassen, weil ich im Ministerium noch einige Dinge zu erledigen hatte. Aber ich habe eben meine Pflichten und trage viel Verantwortung.“
„Das bestreitet auch niemand.“
„Sie waren heute im Ministerium, Lord Ravenswood?“ fragte Clara ungläubig. „Das Parlament kommt doch am Wochenende gar nicht zusammen.“
Abby begann langsam die Beherrschung zu verlieren. „Ich kann dir versichern, dass es ihm auch gar nicht darum ging zu arbeiten. Spencer hatte einfach keine Lust, Lady Tyndale bei ihren Besorgungen begleiten zu müssen. Das hat er mir überlassen – natürlich ohne mir vorher Bescheid zu sagen.“
Spencer betrachtete sie böse. „Ich habe dir gesagt, dass …“
„Nein, hast du nicht. Das wüsste ich.“
Lady Clara lachte. „Ihr benehmt euch wie ein altes Ehepaar!“
Diese Bemerkung brachte Abby wieder zur Besinnung. Eine Viscountess stritt sich nicht mit ihrem Mann in der Öffentlichkeit. Es konnte nur an ihrem Hunger Hegen, dass sie sich so von Spencer hatte provozieren lassen …
„Ich wollte rechtzeitig hier sein, da Lady Brumley heute mein Parfüm vorstellen wird“, fuhr Abby deshalb kühl und sachlich fort.
„Ja, ich weiß. Aber ich dachte trotzdem, dass du noch aus einem anderen Grund wütend auf mich bist. Wahrscheinlich hast du seit heute Morgen nichts mehr gegessen …“
Bevor sie vor Hunger ohnmächtig wurde, gab Abby sich geschlagen. „Ich
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