160 - Martin, Deborah - Die amerikanische Braut
nicht ernst meinte.“
„Was?“ rief Abby in gespielter Überraschung. „Natürlich dachte ich, dass du das ernst meinst. Du bist doch die Ernsthaftigkeit in Person!“
Als sie Spencer mit einem koketten Lächeln bedachte, schmolz er dahin. Aus einem Impuls freudiger Erregung heraus ergriff er ihre Hand und drückte sie leicht.
„Eine ernsthafte Disposition ist einer unverschämten bei weitem vorzuziehen“, verkündete Lord Liverpool mit Grabesstimme.
„Aber ich bitte Sie …“, versuchte Sir Robert zu vermitteln.
„Und nun zu Ihnen, Sir“, fuhr Lord Liverpool unbeirrt fort und ließ seinen missbilligenden Blick auf Spencer ruhen. „Es ist ein Jammer, dass Sie bei der Wahl Ihrer Frau nicht den Fehler Ihres Vaters bedacht zu haben scheinen.“
Als Spencer sah, wie Abbys schelmisches Lächeln mit einem Schlag verschwand, packte ihn die Wut.
„Der Fehler meines Vaters war es, eine Frau zu heiraten, die gerade einmal halb so alt war wie er“, entgegnete er scharf und schaute Liverpool unverwandt an. „Ich finde den Vergleich nicht sehr treffend.“
Liverpool betrachtete ihn mit einem Lächeln. „Ach ja, wie konnte ich das vergessen! Sie wurden natürlich auf die Schule geschickt, nachdem Ihr Vater Lady Dorothea geheiratet hatte – deshalb haben Sie wahrscheinlich von den Ausschweifungen und dem aufsässigen Verhalten Ihrer Stiefmutter nichts mitbekommen.“
„Ich habe vor allem gehört, dass Sie ihr, bevor sie meinen Vater heiratete, einen Antrag gemacht haben, den sie abgelehnt hat.“
Liverpool wirkte pikiert und wollte zu einer Erwiderung ansetzen, doch Spencer kam ihm zuvor. „Und wenn Sie uns nun entschuldigen würden, Gentlemen, meine Frau und ich werden sicher schon von unseren Freunden vermisst.“
Er legte Abby seine Hand auf den Rücken und führte sie in Richtung des Tisches, an dem die Getränke ausgeschenkt wurden. Sobald sie außer Hörweite waren, flüsterte Abby: „Es tut mir Leid, Spencer. Ich hätte das nicht sagen sollen.“
„Unsinn.“ Spencer kochte innerlich vor Wut. „Der Mann ist ein aufgeblasener Wichtigtuer.“
„Ich hätte mich aber nicht über ihn lustig machen dürfen. Ich verspreche dir, es nicht wieder zu tun.“
Als Spencer merkte, dass Abby sich wegen Liverpools Bemerkungen wieder in ihr vornehm distanziertes Verhalten flüchtete, steigerte sich seine Wut noch. „Du musst dir nicht zu Herzen nehmen, was dieser alte Spaßverderber gesagt hat. Eigentlich glaubt er selbst nur die Hälfte des ganzen Unsinns, den er über Frauen und die ihnen angemessene Rolle erzählt hat.“
„Du scheinst Seine Lordschaft nicht sehr zu schätzen.“
Er schaute in ihr immer noch bleiches Gesicht. „Ich lasse nicht zu, dass man dich beleidigt. Wenn es nicht gerade Lord Liverpool gewesen wäre, hätte ich ihn zum Duell gefordert.“
Abby sah ihn mit vor Schreck geweiteten Augen an. „Sei doch nicht albern!“
„Kein Mann wird meine Frau ungestraft beleidigen.“
Sie ließ ihren Blick über den Rasen schweifen und erwiderte leise: „Stimmt es denn, was er über deine Stiefmutter gesagt hat?“
Spencer erstarrte. Der Teufel hole Liverpool dafür, dass er Dorothea erwähnt hatte!
Sie waren am Ausschank angekommen. Spencer füllte einen Becher und warf einen kurzen Blick auf die anderen Gäste, die aber alle in Gespräche vertieft waren. Er reichte Abby den Punsch, nahm sich selbst einen und sagte dann mit gedämpfter Stimme: „Das meiste daran ist wahr. Aber Lady Dorothea war erst zwanzig, als sie meinen Vater heiratete.“
„Zwanzig?“ rief Abby überrascht. „Und dein Vater?“
„Er war achtundvierzig. Er heiratete sie zwei Jahre nachdem meine Mutter bei Nats Geburt gestorben war.“
„Und weshalb nannte Lord Liverpool die Heirat einen Fehler?“
Spencer zog Abby etwas beiseite. „Dora war … jung und sehr lebenslustig. Mein Vater konnte ihr wohl nicht mehr die Aufmerksamkeit schenken, die sie sich wünschte.“
„Das muss ja schrecklich für sie gewesen sein!“
„Wahrscheinlich. Am Anfang ließ sie sich nichts anmerken. Sie versuchte, uns allen eine gute Mutter zu sein, und verwöhnte den kleinen Nat nach Herzenslust.“
„Du mochtest sie also?“
„Zunächst nicht, aber das lag nicht an ihr.“ Spencer starrte nachdenklich vor sich hin. „Ich war in einem schwierigen Alter. Zehnjährige Jungen sind neuen Müttern nicht unbedingt zugeneigt. Ich lehnte sie ab, aber das schien sie nicht zu entmutigen. Sie lachte nur und nannte mich ‚Seine
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