160 - Martin, Deborah - Die amerikanische Braut
„Wir haben uns nur geküsst. Nach all den Jahren, in denen ich für Sie gearbeitet habe, wird mir das doch vergönnt sein.“
Abby bereute sogleich ihre Worte und tätschelte ihrer Dienerin beschwichtigend den Arm. „Aber natürlich. Ich freue mich, dass Sie endlich jemanden gefunden haben. Aber Sie sollten sich von Ihrem eigenen Glück nicht blenden lassen, was Spencers Motive betrifft. Wenn ich mit Seiner Hochwohlgeborenen Lordschaft verheiratet bleibe, werde ich mich von morgens bis abends seinem Willen fügen müssen. Und dazu bin ich nicht bereit.“
„Das geht den meisten Frauen so. Wenn sie vernünftig sind, hören sie einfach nicht mehr auf ihre Männer. Sie nicken und sagen: »Natürlich, mein Lieber, ganz wie du wünschst’, und machen dann, was ihnen gefällt.“
Zu tun, was ihr gefiel, war Abby aber leider nicht vergönnt! Sie würde Spencer nie dazu bewegen können, Kinder zu adoptieren. Nie würde er sich auf dieses Wagnis einlassen, denn das würde ja bedeuten, dass er die Kontrolle abgeben und jemand anderem vertrauen müsste.
„Mir steht der Sinn nicht nach einer Ehe, in der mein Mann dauernd versucht, mir seinen Willen aufzuzwingen und über mich zu bestimmen.“ Abby warf den Kamm beiseite und griff nach der Bürste. „Und eine Ehe mit Spencer würde genau so verlaufen.“
Mrs. Graham nahm ihr die Bürste aus der Hand und fuhr damit besänftigend durch Abbys Haar. „Können Sie es dem Mann verübeln, dass er gerne alle Fäden selbst in der Hand hat? Nach all dem, was er erlebt hat …“
Abby stockte der Atem. Wusste Mrs. Graham womöglich von Spencers Unfruchtbarkeit? Nein, das konnte nicht sein. Spencer hatte gesagt, dass er sich niemandem anvertraut habe. „Was meinen Sie damit?“
„Oh, der arme Mann! Sein Leben war doch eine einzige Tragödie – und es stand außer seiner Macht, die Ereignisse aufzuhalten. Seine Mutter starb, als er ein kleiner Junge war. Dann heiratete sein Vater eine neue Frau – eine zu junge Frau, wenn Sie mich fragen –, und das Unglück nahm seinen Lauf. Als Seine Lordschaft endlich seinen eigenen Platz im Leben zu finden schien und sich einen Namen in der Armee machte, starb sein älterer Bruder. Nun war er der Erbe, ob er wollte oder nicht. Obwohl er einen Beruf hatte, der ihm Freude bereitete – wenn man Mr. McFee glauben darf –, war er nun genötigt, seine Karriere aufzugeben.“
„Aber das hat er doch gar nicht getan.“
„Nein. Aber damit forderte er nur wieder das Schicksal heraus. Das Erste, was er tat, nachdem sein Bruder gestorben war, war sich zum Spionagechef befördern zu lassen.“
„Davon wussten Sie?“
„Oh ja. Arthur … ich meine natürlich, Mr. McFee … war schon im Dienst der Familie Law, als Lord Ravenswood noch nicht einmal laufen konnte. Er hat alles mitbekommen – die Stiefmutter, die alle im Stich gelassen hat, und den Vater, der dann vor Gram gestorben ist.“ Mrs. Graham zog die Bürste jetzt mit energischen Strichen durch Abbys Haar. „Auch diesen Schicksalsschlag konnte Seine Lordschaft nicht abwenden.“
Ganz zu schweigen von dem Unfall, der sich zur selben Zeit ereignete und für immer alle Hoffnungen Spencers auf eigene Kinder zunichtemachte. Ihre Dienerin hatte nicht Unrecht – Spencer hatte schon viel durchmachen müssen.
„Plötzlich“, fuhr Mrs. Graham fort, „war er selbst der Viscount und trug die Verantwortung für seine Güter und einen Nichtsnutz von einem jüngeren Bruder. Trotzdem fühlte er sich aber noch weiter seinem Land verpflichtet und gab seine politische Karriere nicht auf. Das alles lässt sich nur bewältigen, wenn man klare Vorstellungen hat. Und irgendwann wird es einem zur Gewohnheit, allen anderen Menschen zu sagen, was sie zu tun haben. Es gibt ihm bestimmt auch ein Gefühl von Sicherheit, wenn endlich alles nach seinem Willen geht.“
„Ja.“ Abby klang verletzt. „Spencer traut anderen Menschen nicht zu, dass sie selbstständig denken können und in der Lage sind, selbst über ihr Leben zu entscheiden.“
„Aber verstehen Sie denn sein Problem nicht? Der Mann hat Angst davor, dem zu vertrauen, was er nicht kontrollieren kann. In seinem bisherigen Leben war es immer mit Kummer für ihn verbunden, die Kontrolle zu verlieren. Und deshalb ist er nun völlig durcheinander, da er einer wunderbaren Frau begegnet ist, aus der er nicht schlau wird. Aber er wird schon noch zur Besinnung kommen und merken, was er an Ihnen hat.“
Als die Tür sich öffnete und Marguerite mit
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