1600 - Willkommen im Hades
sprechen wollte und ihm zu diesem tollen Erfolg gratulierte. Der Mann befand sich an einem anderen Ort und berichtete nach dem Glückwunsch, dass alles so eingetreten war wie berechnet.
»Ja, das ist gut. Ich komme zu dir. Und den Männern ist nichts passiert?«
»Nein.«
»Dann bis gleich.« Eichler nickte seiner Tochter zu und fragte: »Willst du mit?«
»Nicht unbedingt.«
»Du willst fotografieren?«
Sie lächelte. »Das hatte ich vor.«
Eichler legte seine Stirn in Falten. »Das kannst du natürlich, aber ich gebe dir den Rat, vorsichtig zu sein. Geröll sieht oft fest aus, aber verlassen kann man sich nicht darauf.«
»Ich will auch nicht klettern. Für mich kommt es darauf an, das zu fotografieren, was die Sprengung freigelegt hat. Es wird ja einen neuen Weg geben. Die Landschaft ist schon jetzt verändert, und ich muss meinem Job nachkommen. Ich habe versprochen, den Beginn der Straße bis zum Ende fotografisch festzuhalten.«
»Kannst du.«
»Danke, Vater. Und noch mal, du bist toll gewesen.«
»Nicht nur ich. Auch meine Mannschaft.«
»Die schließe ich mit ein.« Sie bückte sich und hob ihre Kameratasche an. Sie hatte nur einen Apparat mitgenommen, der aber war vom Feinsten. Die Technik erlaubte gestochen scharfe Aufnahmen.
Sie machte sich auf den Weg, ging um die drei Buden herum.
Schon nach wenigen Schritten blieb sie stehen.
Die Sprengung hatte für ein neues Bild gesorgt.
Die Bergflanke, die es mal gegeben hatte, war nicht mehr vorhanden.
Der heftige Druck hatte sie weggefegt und zertrümmert. Zwar hing noch immer die Wolke in der Luft, sie war aber dünner geworden, und so schälte sich das Bild immer stärker hervor.
Ein neues Gesicht!, dachte Anna und schoss die ersten Fotos, auch wenn der Staub kein klares Bild zuließ. Aber das musste sie einfach aufnehmen. Es war der Anfang.
Es würde eine neue Straße geben. Die aber musste erst noch geschaffen werden, denn dort, wo sie irgendwann mal verlaufen sollte, hatte das Geröll eine dicke Schicht gebildet, die erst durch schweres Gerät weggeräumt werden musste.
Wenn Anna ihre Fotos schoss, war sie nicht mehr zu halten. Auch jetzt wollte sie sich nicht damit zufrieden geben, die Fotos aus einer bestimmten Entfernung zu schießen.
Sie rückte ihren Helm zurecht.
Sie wollte näher heran und auch in das Zentrum hinein. Sie wollte für die Nachwelt festhalten, welches Bild sich nach der Sprengung ergeben hatte.
Inzwischen hatten sich auch die anderen Arbeiter aus ihren Deckungen hervorgetraut und schauten sich an, was die Sprengung angerichtet hatte. Auch sie sahen sich einer völlig neuen Landschaft gegenüber, waren jedoch allesamt mit ihrem Job zufrieden und klatschten sich gegenseitig ab.
An diesem Tag würde keiner mehr arbeiten. Außerdem lag ein Wochenende vor ihnen. Da fuhren einige der Arbeiter nach Hause. Die meisten in Richtung Süden. Sie verließen die Dolomiten, um bei ihren Familien zu sein.
Anna wollte nicht zu viele Aufnahmen schießen. Zu oft das gleiche Motiv, das konnte langweilig werden. Es war jetzt wichtig, das Zentrum zu erreichen, um die Auswirkungen der Sprengung für die Nachwelt festzuhalten. Es sollte sogar einen kleinen Fotoband geben. Da hatte Anna die entsprechenden Verträge bereits unterschrieben.
Sie bahnte sich ihren Weg durch Geröll.
Die Explosionen hatten das Gestein weit bis in die Landschaft geschleudert. An manchen Stellen waren regelrechte Hügel aufgetürmt worden.
Anna hatte die Fototasche über ihre Schulter gehängt.
Es war nicht einfach, auf diesem Untergrund das Gleichgewicht zu halten. Immer wieder musste sie ihre Arme ausstrecken, um das Gleichgewicht zu bewahren.
Sie sah auch die anderen Arbeiter, die sie beobachteten. Die Männer hatten Feierabend. Sie gingen zu den Baubuden, um ihre persönlichen Sachen zu holen. Die großen Lastwagen würden erst nach dem Wochenende erscheinen, um das wegzuschaffen, was ihnen die mächtigen Schaufeln der Bagger aufluden.
Wie immer würde der Chef das Gelände als Letzter verlassen. Er hatte Anna versprochen, so lange zu warten, bis sie mit ihrer Arbeit fertig war, und das musste sie, bevor die Dunkelheit anbrach.
Und so balancierte sie weiterhin über den breiten Streifen aus Geröll, der den Weg zum Ziel markierte. Es kam ihr vor wie ein Meer aus Steinen, das allerdings nie glatt war, sodass sich immer wieder Hindernisse vor ihr aufbauten.
Die große Wucht der Explosion hatte die Flanke tatsächlich weggerissen.
Etwas Neues war
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