1600 - Willkommen im Hades
Umgebung gewöhnen.
Sie atmete die kalte Luft ein, und legte den Kopf in den Nacken, um die schroffen Berge in der Nähe zu sehen, und fand dies alles als wunderbar und einmalig.
Wie schön das Leben doch sein konnte.
Alles, was vorher gewesen war, kam ihr wie ein böser Traum vor.
Aber sie wusste auch, dass es kein Traum war. Sie hatte dieses grauenvolle Monster tatsächlich gesehen. Diese Gestalt aus einer längst vergangenen und vergessenen Zeit.
Schlimm - denn es war nicht mehr gefangen. Und daran trugen die Menschen die Schuld. Hätten sie nicht einen Teil der Wand gesprengt, wäre das Untier oder dieser Teufel ein für alle Mal der Nachwelt verborgen geblieben.
Das war nun vorbei.
Sie hatte es gesehen, und sie hatte es sogar fotografiert. Es lag an ihr, ob die Welt davon erfuhr, und das musste sehr genau überlegt sein.
Die Schwäche in den Beinen hätte sie fast gezwungen, sich hinzusetzen.
Der Druck im Kopf war ebenfalls geblieben, und als sie sich umschaute, da fiel ihr erst jetzt die Veränderung so richtig auf.
Man wollte eine Straße bauen, man musste die Natur verändern, und dagegen hatte es Proteste gegeben. Zu Recht, wie sie jetzt wusste. Wäre die Sprengung nicht erfolgt, hätte niemand von diesem Monster erfahren. Jetzt aber wusste sie Bescheid, und auf ihr lastete plötzlich ein wahnsinniger Druck.
Anna blickte in die Richtung, aus der sie hierher gekommen war. Dort hatte sich kaum etwas verändert. Nur die privaten Autos der Arbeiter waren verschwunden, ansonsten gab es die Welt noch, wie sie vorher gewesen war, und das gab ihr ein wenig Hoffnung.
Und die Hoffnung wurde genährt, als sie die Stimme ihres Vaters hörte.
Er hatte sich Sorgen gemacht und rief überlaut ihren Namen.
Ihr Vater. Das war das nächste Problem. Was sollte sie ihm sagen? Wie würde er reagieren, wenn er die Wahrheit erfuhr?
Sie lachte in sich hinein. Nein, auf keinen Fall durfte er die Wahrheit wissen.
Zudem hätte er ihr nicht geglaubt. Das war einfach unglaublich, was sie entdeckt hatte, und sie wollte auf keinen Fall, dass er in die Höhle ging und nachforschte.
»Anna…«
Sie schaute hoch.
Franz Eichler stand nahe der Buden und winkte mit beiden Armen.
»Willst du nicht endlich kommen? Es wird bald dunkel. Wir müssen nach Hause. So interessant ist die Umgebung hier auch für eine Fotografin nicht.«
Wenn du wüsstest!, dachte sie, hob aber einen Arm, um zu zeigen, dass sie verstanden hatte. Auf dem Weg zu ihm würde ihr schon etwas einfallen.
Er wollte sie nach Hause holen. Es war sein und das Zuhause der Mutter. Anna lebte längst in Wien. Als bekannte Fotografin einen Wohnort in den Dolomiten zu haben wäre nicht gut gewesen. Da musste man sich schon ein Zentrum aussuchen.
Sie war nur zu ihren Eltern gekommen, weil sie sich Urlaub gegönnt hatte und ihre Ruhe haben wollte. Das Weihnachtsfest und auch den Jahreswechsel wollte sie in den Bergen verbringen. Das war einfach ein Zugeständnis an ihre Kindheit. Sie hatte sich Weihnachten und auch zwischen den Jahren zu Hause immer sehr wohl gefühlt.
Die Strecke war nicht leicht zu gehen. Immer wieder musste sie ihre Füße weit anheben, um nicht zu stolpern, aber sie schaffte es und schaute schließlich auf ihren Vater, der seinen Helm leicht in den Nacken gedrückt hatte.
Franz Eichler war ein kräftiger Mann mit breiten Schultern. Der hat eine Brust wie eine Tischtennisplatte, hatte mal jemand gesagt. Und irgendwie stimmte das auch. Allerdings war er nicht besonders groß, aber wer ihn kannte, der hatte Respekt vor ihm. Nicht nur wegen seiner beruflichen Leistungen, er war auch privat bei den Menschen sehr angesehen und zudem Chef der Freiwilligen Feuerwehr.
»Du bist aber lange weg gewesen.«
»Stimmt.«
Franz Eichler nahm den Helm ab und strich über seine grau gewordenen Haare. Die hellen Augen verengten sich leicht, als er die nächste Frage stellte.
»Was hat es denn so Interessantes gegeben?«
Anna konnte jetzt zwischen der Wahrheit und einer Geschichte wählen, und sie entschied sich, nicht die Wahrheit zu sagen. Diese Entdeckung sollte vorerst ihr großes Geheimnis bleiben.
»Es ist die neue Landschaft gewesen, die ich fotografiert habe. Ich wollte einen Vergleich für die Nachwelt haben, das weißt du doch.«
»Ja, ja, schon. Aber so wichtig ist das nicht.«
»Für mich schon. Es ist auch ein Teil meiner Kindheit und Jugend verschwunden.«
»Nun ja, so kann man es auch sehen.« Eichler schaute in die Gegend und nickte. »Ich
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