1600 - Willkommen im Hades
relativ sicheren Stand gefunden, als sich ihr Handy meldete.
Sie wusste, wer sie anrief.
»Vater?«
»Ja, Anna.«
»Was ist los?«
»Das fragst du? Ich wollte wissen, wann du wieder zu mir kommst.«
»Es dauert noch.«
»Und was ist der Grund?«
Anna stöhnte leicht auf. »Das weißt du doch, Vater. Ich muss noch ein paar Fotos schießen.«
»Hast du denn etwas Besonderes entdeckt?«
»Nein, das habe ich nicht.« Anna hütete sich davor, ihrem Vater etwas von der Besonderheit in der Felswand zu erzählen. Das hätte nur neue Fragen aufgeworfen.
»Wie lange kann es noch dauern?«
»Das weiß ich nicht. Ich muss das Tageslicht ausnutzen.«
»Brauchst du denn Hilfe?«
»Auf keinen Fall.«
»Gut, Anna, ich warte dann in der Baubude auf dich.«
»Danke, das ist nett.«
»Und gib auf dich acht, Tochter.«
Sie lachte. »Mache ich doch immer, das weißt du.«
»Wir sehen uns.«
Anna hatte ihren Vater beruhigt und wusste jetzt, dass sie für eine Weile freie Hand haben würde. Die brauchte sie auch, denn das Gefühl, dass innerhalb des Felsens etwas zu finden war, verstärkte sich immer mehr in ihr.
Sie legte die restliche Strecke zurück, schoss dabei noch zwei Fotos und hielt dicht vor der Spalte an. Jetzt erkannte sie die gesamte Breite. Da hätten gut und gern zwei normale Menschen hindurchgepasst.
In der Spalte war es finster.
Anna war froh, eine lichtstarke Lampe an ihrem Gürtel befestigt zu haben, die würde sie jetzt brauchen.
Sie ging noch einen Schritt nach vorn und schob sich in den Spalt hinein.
Noch war es hell genug, sodass sie auf die künstliche Beleuchtung verzichten konnte.
Von der Weite in die Enge!
Dieses Gefühl hatte sie schon. Anna kam sich eingeschlossen vor.
Rechts die Wand, links die Wand, und sie nahm auch den anderen Geruch wahr.
Es roch nach Erde, nach feuchtem Stein, und der Boden war auch nicht glatt, sondern mit Geröll bedeckt. Das graue Tageslicht versickerte bald, aber es reichte noch so weit, um Anna erkennen zu lassen, dass dieser schmale Einstieg bald ein Ende hatte. Vor ihr öffnete sich etwas. Das sah sie noch nicht, das konnte sie nur spüren, denn sie hatte den Eindruck, vor einer gewaltigen Leere zu stehen, die sie empfing wie ein unterirdischer Saal oder Dom.
Erneut rann ein Schauer über ihren Körper. Zugleich spürte sie den inneren Druck. Sie war allein, doch die fühlte nicht mehr so.
Es kostete die Fotografin schon Überwindung, das Licht der Lampe einzuschalten. Sie hatte den Strahl so breit wie möglich eingestellt, und der bahnte sich seinen Weg durch die Finsternis.
Er traf ein Ziel.
Das sah auch Anna.
Und sie glaubte, im Vorhof der Hölle zu stehen!
***
Augenblicklich schlug das Herz der Fotografin schneller. Zugleich steigerte sich der Druck in ihrem Kopf. Sie hörte sich sprechen, ohne zu wissen, was sie sagte.
Ihr Blick war auf das gerichtet, was ihr der Lichtstrahl enthüllte, aber zugleich noch mehr, denn das Licht aus der Lampe konnte nicht das erfassen, was sie vor sich sah, dafür war es zu groß. Trotzdem sah sie alles, und sie stellte dabei fest, dass dieses gewaltige Gebilde von einem Schein umflort war, der wahrscheinlich aus dem Innern der Erde drang.
Anna Eichler stellte nochmals fest, dass sie sich in einem unterirdischen Gewölbe befand, das sogar den Namen Felsendom für sich hätte beanspruchen können.
Im Vorhof zur Hölle!
Beinahe hätte sie den Satz geflüstert, so stark hatte er sich in ihrem Kopf festgesetzt. Niemand hatte ihr bisher den Teufel beschreiben können.
Was sie von ihm kannte, waren Bilder, die sich die Menschen selbst von ihm gemacht hatten. Man sah sie ja überall, wenn man sich dafür interessierte. Ob es die Fratzen an den Mauern großer Kathedralen waren oder die Masken bei irgendwelchen Festen, wenn Menschen durch die Gassen der Dörfer liefen, um böse Geister und Dämonen zu vertreiben.
Was hockte da vor ihr?
Zumindest war es ein zu Stein gewordenes Wesen, das an Scheußlichkeit kaum zu überbieten war. Es hockte geduckt auf einem steinernen Podest, dessen Platte schmaler war als der Unterbau. In das Gestein des Podests hineingeschlagen sah sie zwei kleinere Abbilder dieses Monsters. Beide flankierten einen Totenschädel, unter dessen Kinn zwei gekreuzte Knochen abgebildet waren.
Und darüber hockte es oder er!
So genau war das nicht zu erkennen. Aber diese unheimliche und scheußliche Gestalt würde die Fotografin nie vergessen.
Ein gedrungener, mit Muskeln bepackter Körper, der
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