1603 - Der Geistertänzer
dies auch so blieb.
Es gab für Isabel Kessler keine Worte mehr, diesen Tanz zu beschreiben. Vielleicht passte der Begriff himmlisch am besten. Alles andere wurde dem Erlebten nicht gerecht.
Es war niemand da, der spielte. Es gab keine Musik aus der CD-Anlage, und trotzdem hörte sie die wundersamen Klänge, die allerdings aus anderen Sphären zu stammen schienen.
Julius hielt sie fest. Er gab ihr Sicherheit, und trotzdem war er nicht zu spüren. Man konnte ihn als federleicht bezeichnen. Er glitt nur dahin. Er war in allem perfekt.
Dass sie mit einem Toten tanzte, hatte Isabel längst vergessen.
Wohin führte der Tanz? Sie wusste es nicht.
Wann würde er enden? Niemals, so hoffte sie. Es sollte ein Tanz sein, der kein Ende fand. Sie wollte sich ihm völlig hingeben und sie wollte ihren Partner bitten, hur nicht aufzuhören, aber ihr versagte in diesem Moment die Stimme.
Die Realität war nicht mehr vorhanden. Es gab nur noch das Wunder dieses Tanzes. Schon auf der Bühne und vor einem großen Publikum waren sie als Paar immer etwas Besonderes gewesen, das die Zuschauer zu Beifallsstürmen hingerissen hatte.
Dieser Tanz setzte allerdings allem die Krone auf. Er war einfach perfekt.
Sie hörte eine helle und jubelnde Frauenstimme. Erst später kam ihr der Gedanke, dass es ihre eigene Stimme war. Sie konnte einfach nicht anders. Diese Drehungen, diese Schwünge, alles war so fantastisch.
Nie sollte der Tanz enden - nie…
Und doch gab es ein Ende. Isabel sah es nicht, sie spürte es nur. Es waren die Bewegungen, die sie von der Bühne her kannte. Sie und Julius schwebten in das Finale.
Erneut hatte sie den Eindruck, fliegen zu können. Aber sie schwebte nicht weg, sie fiel wieder zu Boden, und erst jetzt spürte sie wieder den normalen Kontakt.
Noch war sie erfüllt von den Eindrücken des Tanzes. Sie wollte sprechen, was ihr nicht möglich war. Isabel musste erst zu Atem kommen, doch erschöpft fühlte sie sich nicht. Sie war einfach nur glücklich. Er stand vor ihr.
Wieder im Dunkeln. Seine blaugraue Gestalt schimmerte vor dem dunklen Hintergrund. Sie sah auch die gelben Augen und empfand sie nicht mehr als so raubtierhaft und kalt. Eigentlich kamen sie ihr wunderbar vor, ebenso wunderbar wie der Tänzer.
»Ruh dich aus, meine Liebe…«
»Nein, nein, das muss ich nicht. Es ist einfach wunderbar gewesen. Ich kann es noch immer nicht begreifen. Du bist bei mir, und das ist unvergleichlich schön.« Dann sagte sie den Satz, von dem sie nicht überzeugt war, der allerdings eine große Hoffnung enthielt. »Ich hoffe, dass wir wieder so zusammen sind wie früher. Ja, kann das sein?«
Er sagte nichts. Er stand vor ihr und strich mit beiden Händen über ihre nackten Schultern. Die Berührung ließ die Frau erschauern, und sie schloss die Augen, um sich diesem wunderbaren Gefühl hinzugeben.
»Es kann leider nicht sein, meine Liebe. Ich muss meinen Weg gehen und du den deinen. Vergiss nicht, was du selbst gesagt hast, was ich bin.«
»Nein!«, flüsterte sie. »Nein, das will ich nicht glauben! Du ist nicht tot. Du kannst nicht tot sein. Du bist zu mir gekommen, um mit mir zu tanzen. Das schafft ein Toter nicht. So etwas ist einfach unmöglich, hörst du?«
»Ich muss meine Ruhe finden, aber man lässt mich nicht.«
»Wer lässt dich nicht?«
»Die anderen.«
»Und wer sind die anderen?«
»Meine Feinde. Ja, meine echten und gefährlichen Feinde. Sie wollen mir keine Ruhe gönnen. Sie sind ein gefährlicher Club, in den ich nicht hineinpasse. Ich bin auf der Flucht vor ihnen. Vielleicht werde ich immer auf der Flucht sein, aber das ist nicht dein Problem, Isabel. Damit muss ich allein fertig werden.«
Isabel hatte plötzlich wieder Mut gefasst.
»Nein!«, erklärte sie mit einer bestimmt klingenden Stimme. »Das lasse ich nicht zu. Wir waren Partner auf der Bühne und sind es über den Tod hinaus. Verstehst du?«
»Ich habe es gehört.«
»Und?«
Julius legte den Kopf schief, und sie glaubte, ein Lächeln auf seinem Gesicht zu sehen. Es war allerdings ein sehr trauriges Lächeln, das in ihr einen seelischen Schmerz hinterließ. Und sie sah zugleich, wie sich Julius von ihr entfernte. Er zog sich einfach zurück, ohne dass ein Laut zu hören war.
Sie rief seinen Namen.
Er hörte nicht oder wollte nicht hören.
»Julius, bitte! Lass mich nicht im Stich! Ich bitte dich! Hör mich an!«
Bestimmt hatte er sie verstanden. Aber er reagierte nicht so, wie sie es erhofft hatte.
Ein letztes Winken
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