1604 - Panoptikum des Schreckens
Diese Pause sollte nur ein kurzes Zwischenspiel sein. Zudem wollten wir bei diesem kalten Wetter unsere Gedanken ordnen.
Suko fragte: »Was hast du für ein Gefühl?«
»Keines.«
»Auch kein Bauchgefühl?«
»Nein.«
»Aber ist Purdy noch im Haus?«
»Das nehme ich an. Und sie wird nicht allein sein. Die Dinge sind nur an uns vorbeigelaufen. Zudem bin ich mir fast sicher, dass Purdys Gefangennahme nicht zufällig erfolgt ist. Dahinter steckt mehr, darauf kannst du wetten.«
Suko nahm den Faden auf. »Dann frage ich mich, was an Purdy für die andere Seite so interessant sein könnte.«
Ich hob die Schultern. »Das weiß ich leider auch nicht.«
Suko wollte nicht länger vor der Tür stehen bleiben und in die Gegend schauen.
Das Haus war für die hier lebenden Menschen nach wie vor uninteressant. Es schien gar nicht existent zu sein, denn die Mensdien, die am Grundstück vorbeigingen, bedachten es mit keinem Blick.
Ich blieb noch einige Sekunden stehen. Meine Hände hatte ich zu Fäusten geballt. Am liebsten hätte ich all meine Wut und meinen Frust hinausgeschrien, doch das hätte mich auch nicht weitergebracht. Und so drehte ich mich um, denn Suko wartete auf mich.
Er stand in Höhe der Kasse und sah alles andere als glücklich aus. Sein Blick war ins Leere gerichtet, und als ich neben ihm stehen blieb, hob er die Schultern.
»Nichts, John. Nichts gesehen und auch nicht gehört. Das Haus scheint zu schweigen.«
»Dann fangen wir noch mal von vorn an. Ich denke, dass wir uns jetzt die erste Etage vornehmen sollten.«
»Und was hältst du vom Keller?«
»Gibt es den denn?«
»Keine Ahnung«, murmelte Suko. »Aber eigentlich haben solche Häuser alle einen Keller.«
Nachdem wir nicht mehr sprachen, hatte die Stille erneut das Haus übernommen.
Zum Glück brannte das Licht. So mussten wir unsere Lampen nicht einsetzen.
Im unteren Bereich war uns alles bekannt. Wir hatten schnell den Bereich erreicht, der für die Besucher den ersten Schrecken bereithielt.
Die Freaks, die Zombies hinter Gittern. Diese schrecklichen und bösartigen Gestalten aus Wachs, deren Haut durch das Licht ihre gelbliche Farbe verloren hatten.
Derjenige, der diese Typen erschaffen hatte, der hatte wirklich seine Fantasie spielen lassen, denn sie waren meiner Meinung nach allesamt Ausgeburten der Hölle.
Ich glaubte allerdings nicht daran, dass unter ihnen normale Menschen steckten. Tote Körper, die mit Wachs überzogen waren wie bei dieser Familie. Sie waren wirkliche Wachsfiguren wie die Gestalten, zwischen denen ich meinen Platz gefunden hatte.
Noch immer wussten wir nicht, welches Spiel hier lief. Bei der nachgestellten Mordfamilie war das Wachs geschmolzen, als es die Kraft meines Kreuzes gespürt hatte. Hier passierte das nicht. Da schmolz nichts. Kein Totenschädel zerfloss, und es löste sich auch kein Auge aus der Höhle.
»Das Stehen und Abwarten bringt nichts«, sagte ich und drehte mich schon vom Gitter weg. Dabei lief ich gegen Sukos zur Seite ausgestreckten Arm. Ich wusste sofort, dass er diese Geste nicht grundlos gemacht hatte, und stoppte sofort.
»Da war etwas, John!«, flüsterte er. »Oder ist was.«
»Und was?«
»Ich habe etwas gehört.«
Wenn Suko so sprach, war ich besser still. Ich konnte mich zwar auf mein Gehör verlassen, musste allerdings zugeben, dass Suko ein besseres hatte. Wenn er etwas vernahm, dann konnte ich mich darauf verlassen.
Wir rührten uns nicht und lauschten in die noch immer vorhandene Stille hinein.
Ja, da gab es ein Geräusch, das sich uns näherte. Jemand kam!
Suko tastete nach seiner Waffe, schlich dann vor und blieb am Beginn der Treppe stehen. Hier war das Licht ebenso düster, aber es verteilte sich auch auf den Stufen, sodass wir bis zu deren Ende schauen konnten, wo plötzlich jemand erschien und oben an der ersten Stufe stehen blieb.
Uns traf fast der Schlag.
Dort oben stand tatsächlich Purdy Prentiss!
***
In den folgenden Sekunden drang nicht ein Laut über unsere Lippen. Die Überraschung war einfach zu groß, und ich glaubte sogar für einen Moment, dass ich eine Halluzination hatte.
Purdy war erschienen wie ein Geist, aber sie hatte uns auch gesehen und winkte uns zu.
Gut, es war nicht strahlend hell, aber auch so erkannten wir, dass Purdy unversehrt war. Da waren keine äußerlichen Verletzungen zu sehen, und es gab auch keine Wachsschicht, die ihre Haut bedeckte. Vor uns stand eine völlig normale Frau.
»Glaubst du das?«, fragte Suko.
»Ja,
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