1606 - Der Spieler und die Kartanin
richtete sich so weit auf, daß es vielleicht sogar der Uniformierte sah. „Mein Name ist Dao-Lin-H'ay. Ich bin gekommen, um mit der Hohen Frau zu sprechen."
Mit Genugtuung sah sie das Erschrecken, als ihr Name fiel. Der andere wich zurück und schloß dabei die Tür bis auf einen Spalt. „Ich weiß nicht, was du redest! Geh weg!"
„Du brauchst auch nichts zu wissen. Erfülle nur meinen Auftrag. Geh zur Hohen Frau und melde ihr, daß ich da bin. Und beeile dich! Sonst sorge ich dafür, daß man dich aus der Familie der L'ungs ausstößt."
Die Barthaare des Mannes sanken tief herab. „Aber woher...?" begann er in höchster Verblüffung. „Ich weiß es eben", unterbrach sie. „Und nun verschwinde! Ich warte hier."
Die Tür schloß sich vor ihren Nasen. Keine fünf Minuten vergingen, bis erneut geöffnet wurde.
Diesmal bat der Wächter sie herein. Es war ein anderer als beim erstenmal, ein hochrangiger Kartanin mit sehr viel mehr Selbstbeherrschung. Er musterte die beiden Besucher kühl, dann führte er sie durch einen langen Korridor zu einer Treppe. Und im Kellergeschoß wartete eine Frau. „Ich grüße euch", sagte sie kalt. „Dao-Lin-H'ay. Man sollte nie den Fehler begehen, nicht mit dir zu rechnen."
Es war kühl in diesem Kellergewölbe. Die Luftfeuchtigkeit war halb so groß wie draußen, außerdem herrschte angenehmes Dämmerlicht. An der hinteren Wand des Gewölbes standen zwei aktivierte Transmitter. Man konnte sie per Tastendruck auf Senden oder Empfangen schalten.
Davor standen hölzerne Bänke; und auf einer davon hatte sich ihre Gegenspielerin niedergelassen.
Dao-Lin-H'ay spürte sofort, daß sie eine Kartanin von Format vor sich hatte. Die andere tastete sie und Tes-Tui-H'ar mit eisigen Blicken regelrecht ab. Auch sie trug die blütenweiße Kombination, die für Ardustaar-Kartanin typisch war - jedenfalls, solange sie sich im Einsatz befanden. Ihr Kopf wirkte schmal und kantig.
Die Augen waren nur Schlitze, und das trotz der geringen Lichtmenge hier im Gewölbe. Sie konzentrierte sich. Man konnte sie nicht überrumpeln. Diese Kartanin wußte sich zu wehren, dessen war Dao-Lin sicher. „Mein Name ist Zhu-Go-L'ung", sagte sie. „Ich bin die Hohe Frau dieser Familie. Aber vielleicht hast du auch schon von mir gehört."
„Nein", erklärte Dao-Lin abwertend. „Dein Name ist mir fremd. Ich hörte, daß die Hohen Frauen der L'ungs neuerdings keine besonders große Lebenserwartung haben."
„Man kann das sehen, wie man will." Zhu-Go-L'ung schenkte ihnen einen geringschätzigen Blick. „Vor mir war das so, zweifellos. Man könnte sagen, ich war nicht ganz schuldlos daran. Aber wir wollen nicht plaudern. Ich möchte deine Zeit nicht verschwenden."
Dao-Lin-H'ay fletschte amüsiert die Oberlippe. Diese Worte eine Plauderei zu nennen verlangte Nervenstärke. Immerhin hatte Zhu-Go nicht irgendwen zum Gegner, sondern die letzte Überlebende der Wissenden. „Nun gut. Kommen wir also zur Sache. Mir ist bekannt, daß die Familie L'ung Militärberater an die Vennok und Mamositu vermietet. Es liegt im Interesse aller Kartanin, daß diese Praxis sofort aufhört. Meine Aufforderung an dich: Du wirst die Berater zurückbeordern. Anschließend verlassen alle Mitglieder deiner Familie Hollerdass und Hangay. Keine Geschäfte mit Hangay mehr."
Zhu-Go-L'ung lachte amüsiert. „Ich lehne ab."
„Dazu werde ich dir keine Chance lassen."
„So? Und warum nicht?" Die Hohe Frau ließ durch nichts erkennen, ob Dao-Lins Auftreten sie beeindruckte. „Was wir hier tun, ist unsere Privatsache. Es geht dich nichts an. Oder kommst du vom Rat der Hohen Frauen?"
„Nein", log sie. „Dann verschwinde von hier. Nimm deinen Speichellecker mit, und verlasse Hollerdass, bevor ich deinen Status vergesse."
Dao-Lin-H'ay warf einen kurzen Blick zur Seite. Tes-Tui hatte die Beleidigung weggesteckt. „Du hast deine Lage noch nicht erfaßt, Zhu-Go. Ich kann dich vernichten, und ich werde es tun, wenn du mir keine Wahl läßt."
„Ich könnte dich töten lassen", entgegnete die andere geringschätzig. „Was also soll dieses Gerede?"
„Du würdest deine Tat keine zwei Monate überleben, und das weißt du genau. Die ganze L'ung-Familie nicht."
Zhu-Go-L'ung kniff die Augen noch mehr zusammen. „Du willst mir drohen? In meinem Haus?
Was erdreistest du dich, Dao-Lin-H'ay?" Die letzten Worte spuckte sie beinahe aus, besonders den Namen der ehemaligen Wissenden. „Ich bin die Hohe Frau dieser Familie, und ich werde alles
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