1607 - Totenlied der Diva
immer etwas Besonderes. Ich fühlte mich nicht als Mensch, ich war zu Höherem geboren, und so hat sich diese Welt hier für mich geöffnet.«
»Warum hat sie das?«
»Es ist eine neue Welt. Du stehst an ihrem Rand. Es ist eine Welt, die vor gar nicht langer Zeit geschaffen wurde. Die Verstoßenen haben dafür gesorgt. Sie wollten so werden wie die Menschen und haben die Entwicklung immer beobachtet. Und manchmal, wenn ihnen Menschen gefielen, sind sie in diese Welt geholt worden, obwohl sie nicht mehr lebten. Sie sahen so aus wie in ihrem ersten Leben, ohne eine Seele zu besitzen. Aber es gab sie wieder, denn hinter allem steht eine gewaltige Macht, die man nicht beschreiben kann. Sie hält diese Welt zusammen, die sich nur selten öffnet.«
Godwin de Salier hatte große Mühe, sich zusammenzureißen.
»Und jetzt ist es wieder geschehen?«
»Ja, es gibt die Lücke, und ich habe wieder gesungen, so wie ich es schon damals auf der Bühne tat.«
»Und warum wurde sie geöffnet? Gab es einen Grund?«
In den Augenhöhlen der Gestalt bewegte sich etwas. Zumindest hatte Godwin den Eindruck.
»Du bist einer der Gründe!«
»Ich? Warum…?«
»Und andere.«
Der Templer hatte eine Ahnung. Er behielt sie für sich und fragte nur: »Welche anderen sind das denn?«
Die Antwort erfolgte prompt. »Ein Geisterjäger und ein junger Mann.«
»John Sinclair und Johnny Conolly?«
»Ja. Man will, dass es sie nicht mehr gibt. Das Tor ist offen. Die Kräfte können zuschlagen. Und auch du gehört zu denen, die man nicht mehr haben will.«
»Man will uns also schwächen.« Er ballte die Hände. »Lücken in unsere Gemeinschaft reißen.«
»Ja«, sagte Landru, »so ist das. Man will Lücken reißen. Man will die andere Welt besser kontrollieren. Es soll eine Verbindung zwischen ihnen geben. Es gab mal einen Versuch, aber der ist misslungen. Da wurde der Schwarze Tod wieder freigelassen. Er hat nicht siegen können, doch jetzt versuchen wir es wieder.«
»Aber ihr werdet auch diesmal nicht gewinnen.«
»Das weiß ich nicht.«
»Ich schwöre es. Aber ich möchte noch wissen, was du damit zu tun hast. Du bist Landru, und deinen Namen höre ich nicht zum ersten Mal.«
»Ich bin der Sänger. Ich bin der Toröffner. Mein Gesang verbindet die Welten der Lebenden und der Toten. Ich bin die Diva, aber ich sehe nicht mehr so aus wie zu meiner anderen Zeit. Der Tod hat mich gezeichnet, aber man hat mich geholt und mir hier eine Chance gegeben. Wenn ich singe, ist das Tor offen. Diese Aufgabe wurde mir übertragen, und ich werde ihr immer nachkommen. Aber ich wundere mich, dass du es geschafft hast, hierher zu kommen. Hier an die Grenze. Wie ist das möglich gewesen?«
Godwin dachte nicht im Traum daran, es Landru zu erzählen. Er sagte nur: »Auch uns darf man nicht unterschätzen. Wir können uns wehren. Nicht immer ist das Böse stärker und auch nicht der Tod. Das solltest du…«
»Wir werden trotzdem siegen. Wir sind unterwegs. Nicht nur du sollst sterben, auch andere Personen, aber das habe ich dir schon gesagt. Wenn wir wollen, können wir alle Menschen, die wir uns aussuchen, in unsere Welt holen. Und du bist schon da.«
»Ja, das stimmt. Und ich werde auch wieder verschwinden, darauf kannst du dich verlassen.«
»Bist du dir sicher?«
»Das bin ich.«
»Niemand kann diese Welt verlassen, wenn wir es nicht wollen.«
»Dann werde ich eben der Erste sein!«, erklärte Godwin. »Und ich möchte nicht allein von hier fortgehen. Du bist für mich wichtig, und deshalb werde ich dich mitnehmen.«
»Wohin? In deine Welt?«
»Genau!«
»Nein«, flüsterte er, »nein, da gehöre ich nicht hin. Ich bin nur für diese Welt geschaffen. Ich bin Landru, der Sänger und der Toröffner. Ich werde hier bleiben bis in alle Ewigkeiten.«
Wenn Godwin de Salier einmal einen Entschluss gefasst hatte, dann ging er nicht so schnell davon ab.
»Du wirst an meiner Seite bleiben, Landru«, sagte er. »Du wirst mir deine Welt zeigen, denn ich bin inzwischen sehr neugierig geworden.«
»Ich bleibe an meinem Platz!«
»Nein!«
Der Templer wusste genau, was er tat. Diese halbmännliche Diva war für ihn wichtig. Er sah sie sogar als seine Geisel an, die ihm den nötigen Schutz geben würde.
Zudem machte es ihm nichts aus, sich in einer anderen Welt oder Zeit aufzuhalten. Er selbst hatte die Jahrhunderte durch eine Zeitreise überwunden und fürchtete sich nicht vor diesem Phänomen. Er zögerte auch nicht länger.
Bevor Landru etwas
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