161 - Fabrik der Zombies
Vielleicht sehen wir uns morgen, am Strand?" Günther - mehr als den Vornamen hatte Grabosc nicht erfahren - führte die schwankende Frau aus der Snackbar. Grabosc hatte derweil eine Papierserviette um die Hand gewickelt und sah den beiden nach.
Verwundert schüttelte er den Kopf. Daß Helga Bibrich den Anblick von Blut nicht gut vertragen konnte, war nicht weiter erstaunlich. Das ging vielen Menschen so, seltsamerweise mehr Männern als Frauen.
Aber wenn sie eine Hämatophobie hatte…
Es war ein Ammenmärchen, daß Haie nur vom Blutgeruch angelockt wurden; auch das Zappeln eines Schwimmers reichte völlig aus. Aber wenn ein Hai angriff und zubiß, dann mußte das Opfer entsetzlich viel Blut verlieren. Und wenn Helga beim Tod ihres Mannes in der Nähe gewesen war, dann hätte sie dieses Blut damals sehen müssen - und einen solchen Anblick hätte sie niemals vergessen.
Irgend etwas stimmte da nicht, befand Polizeiobermeister Willi Grabosc. Und er war entschlossen, dieses Geheimnis zu lüften.
Die Badehose sah schlichtweg scheußlich aus, aber Grabosc mußte sie tragen - sie wies ihn als Strandwächter aus. Den Job hatte man ihm sofort gegeben; das Honorar war mäßig. Üblicherweise mußte jeder Gast pro Tag einen Franc für die Strandüberwachung zahlen; dieser Betrag wurde dann unter den Rettungsschwimmern aufgeteilt. Zur Zeit war das Camp nicht voll belegt, so daß für Grabosc nicht allzuviel abfallen würde. Allerdings hatte er den Posten auch nicht des Geldes wegen angenommen.
Er saß auf dem Hochsitz, ein erstklassiges Fernrohr auf dem Schoß, und überblickte den Strand. Der weiße Sand war gesprenkelt in allen Farben, vor allem in dunkler Bräune. Einige Sonnenfanatiker, Deutsche vornehmlich, ließen ihre Haut in der Sonne zu Rouladenbräune schmoren, auch auf die Gefahr hin, das Hirn zu Bimsstein auszutrocknen. In der Luft lag ein Geruch nach Meer, Schweiß und Hautcreme.
Grabosc lächelte vergnügt. Der Job machte ihm Spaß. Er hatte versprochen, die nächsten fünf Wochenenden als Strandwächter und Rettungsschwimmer Dienst zu tun - und in dieser Zeit hoffte er, etwas über die geheimnisvollen Vorgänge an der Küste herausbekommen zu können.
An diesem Tag ließ sich das Geschäft ruhig an. Der Seegang war ein wenig kräftiger als sonst, das hinderte die Badenden daran, weiter hinauszuschwimmen - einmal abgesehen von ein paar Leichtsinnigen, die unbedingt mit den Luftmatratzen hinauspaddeln wollten. Solche Abenteuer unterband Grabosc mit Hilfe des Megaphons, das zu seiner Ausrüstung gehörte.
Ab und zu hielt er Ausschau nach Helga Bibrich. Inzwischen hatte er erfahren, daß sie seit mehr als zehn Jahren regelmäßig hier Urlaub machte. Sie war bekannt wie der sprichwörtliche bunte Hund. Grabosc setzte das Fernglas an die Augen und suchte den Strand ab.
Von Helga Bibrich bekam er nichts zu sehen; vielleicht machte sie mit ihrem Freund einen Ausflug ins Landesinnere.
Grabosc ließ das Fernglas langsam schwenken.
Am Horizont konnte er einen großen Frachter sehen, der sich auf die Gironde-Mündung vorarbeitete. Etwas näher schaukelten einige Segelboote auf den gischtgekrönten Wellen.
Und dann sah Grabosc die Luftmatratze…
Ein kleines Mädchen hielt sich krampfhaft darauf fest, mehrere hundert Meter vom Strand entfernt. Die Strömung ließ das schwankende Objekt recht rasch an der Küste entlangtreiben, zog es zugleich immer weiter auf die offene See.
Grabosc gab Alarm.
Das Mädchen mußte von einem der benachbarten Strandabschnitte abgetrieben worden sein, zu Graboscs Strandabschnitt gehörte sie nicht, da war er sich sicher.
Während seine Helfer das Boot klarmachten, stürzte Grabosc ins Wasser. Endlich einmal konnte er seine Körperkräfte wirklich austoben.
Mit kräftigen Arm- und Beinschlägen arbeitete er sich vorwärts, auf das hilflos treibende Mädchen zu. Die Distanz zwischen beiden verringerte sich rasch.
„Ruhig bleiben", schrie Grabosc, sooft er Luft dazu bekam. Er rief es in allen Sprachen, die ihm zur Verfügung standen.
„Hierher!"
Er hatte sich nicht geirrt. Ein Mädchen, der Stimme nach zu schließen noch sehr jung. Und es sprach Englisch.
Grabosc arbeitete sich weiter. Jetzt konnte er die Luftmatratze sogar sehen. Immer wieder wurde der luftgefüllte Körper von den Wellen wie in einem Fahrstuhl in die Höhe befördert und sackte dann jäh wieder ab.
Noch ein paar kräftige Schläge, dann hatte er das Mädchen erreicht.
Ein Schrei gellte durch die Luft.
Weitere Kostenlose Bücher