161 - Fabrik der Zombies
paßte ihm wenig in den Kram.
„Unglaublich, daß es so schnell wieder einen Badeunfall gegeben hat", plapperte Helga, Grabosc mit Blicken verzehrend.
„In der Tat", murmelte Grabosc. Er hatte nicht die geringste Ahnung, was hinter alledem steckte, welches die Motive des Fischmenschen waren. Oder gab es vielleicht mehrere? Und wenn ja, wo stammten diese Kreaturen her?
Es roch förmlich nach Magie - aber anders als Coco Zamis oder Dorian Hunter besaß Grabosc weder die Kenntnis noch die Hilfsmittel, diese Ahnung mit einem Fundament zu versehen. Er war auf blindes Herumtappen angewiesen.
„Die Strömungen sind hier sehr tückisch", mischte sich Günther ein. „Ich bin ein paar Mal vor der Küste gesegelt."
Graboscs Aufmerksamkeit war erweckt.
„Unmittelbar vor dem Campgelände?"
„Auch weiter draußen", antwortete Günther, heilfroh offenbar, daß das Gespräch nicht länger an ihm vorbeilief. „Man muß da sehr genau aufpassen, sonst wird man vom Ebbstrom ins offene Meer hinausgezogen."
Grabosc leckte sich unwillkürlich die Lippen.
„Sind diese Strömungen bekannt?" fragte er. „Existieren vielleicht Karten?"
„Natürlich", antwortete Günther eifrig. „Die Küstenfischerei ist darauf angewiesen. Passen Sie auf…"
Günther begann die Mitte des Tisches freizuräumen. Daß er dabei Salzfaß Pfeffermühle und anderes genau vor Helga plazierte, sah nach einem Zufall aus. Günther griff nach einer Gabel.
„Wenn dies hier die Küstenlinie ist", erzählte Günther und zeichnete mit den Zinken der Gabel auf dem weißen Tischtuch die Konturen nach, „dann ist hier die Flußmündung, hier die Insel. Und hier gibt es eine Strömung, die ungefähr so verläuft."
Günther war Pädagoge von Beruf, Fachgebiete Deutsch und Erziehungswissenschaften, und seit seiner Referendarzeit ohne Arbeit. Seine Aussichten, einen Dauerposten an einer Schule zu bekommen, waren nicht besser als die von Grabosc, Polizeipräsident zu werden. Vielleicht hatte ihn das der munteren Helga in die rundlichen Arme getrieben.
Zeichnen war nicht gerade Günthers Stärke, stellte Grabosc fest. Die Linien auf dem Leinen sahen ziemlich wirr aus.
Langsam kroch der Schrecken in Grabosc hoch. Es begann mit einem Prickeln und kroch dann als eisige Kälte seinen Rücken hinauf. Sein Atem stockte.
Er dachte an das Knochenstück, das er in der Wolfenburg gefunden hatte, das letzte Lebenszeichen eines Mannes, der ein Opfer der Dämonen geworden war. Die Ritzzeichnung in dem Knochenstück war ähnlich wirr ausgefallen. Kein Wunder, der Namenlose hatte sich bei lebendigem Leib diese Zeichnung in den Schädelknochen geritzt - bei dem Gedanken daran wurde Grabosc jedesmal flau zumute. Allerdings hatte er sich auch jedesmal gefragt, wie eine solche Selbstverletzung eines Gefangenen unbemerkt bleiben konnte.
Er erkannte die Linien wieder…
Ein Teil dieser Zeichnung hatte er mit Hilfe eines Mediums enträtseln können - es war jener Teil gewesen, der den Verlauf der Küstenlinie darstellte, genau wie auf Günthers Zeichnung.
Aber da war mehr gewesen, Einritzungen, die keinen Sinn ergeben hatten.
Jetzt bekamen sie einen…
Was Günther da unbeholfen auf den Tisch ritzte, war ein verblüffend ähnliches Abbild der Ritzzeichnung in dem Knochenstück.
Darauf also hatte der Sterbende hinweisen wollen - auf die Gefahren vor der Küste, und er hatte ganz bestimmt nicht die Strömungsverhältnisse allein gemeint.
„Sehen Sie…", redete Günther weiter. Grabosc achtete nicht mehr auf ihn.
Die drei saßen in einem noblen und entsprechend teuren Restaurant, knapp dreißig Kilometer vom Camp entfernt. Graboscs Gastgeber, ein englisches. Ehepaar, hatte das Lokal bereits verlassen, um die Tochter zu Bett bringen zu können. Ansonsten war das Restaurant an diesem Tag nur schwach besucht. Im Hintergrund hatte Grabosc ein junges Paar entdecken können.
Der Mann und die Frau waren jung genug, um noch ineinander verliebt sein zu können, und immer dann, wenn jemand zu ihnen hinübersah, ließen sie es an schmachtenden Blicken, Küßchen und Händchenhalten nicht fehlen.
Sobald sie sich aber unbeobachtet wähnten, änderte sich das Verhalten der beiden sofort. Dann schienen sie nur noch Augen für den Tisch zu haben, an dem Grabosc mit Helga und Günther saß. Zufall?
Vielleicht, dachte Willi Grabosc. Er beobachtete die beiden beim Reden. Sie sprachen französisch, und zwar mit einem so eindeutigen örtlichen Einschlag, daß Grabosc sicher war, daß es
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