161 - Vollmond über London
noch nie ein Mann so fasziniert, ich fühle mich ungemein stark zu ihm hingezogen. Einem Mann wie ihm wollte ich immer schon begegnen«, gestand Rita.
»Und eine solche Beziehung setzt du für Geld leichtfertig aufs Spiel«, versetzte Candice. »Ich verstehe dich nicht, Rita. Wie konntest du dich nur von Ivan Kuby abwerben lassen? Ich hatte dich doch vor ihm gewarnt.«
»Es gibt schlimmere als Ivan Kuby.«
»Das glaube ich kaum«, widersprach Candice leidenschaftlich.
»Tut mir leid, daß du mit meiner Entscheidung nicht einverstanden bist, Candice, aber ich muß das tun.«
»Ich habe kein Recht, dir Vorschriften zu machen. Du bist erwachsen, mußt wissen, was du tust, aber ins ›Pussy Cat‹ zu gehen, ist gewiß kein Aufstieg. Alles Gute - trotzdem.«
»Mach’s gut«, erwiderte Rita und umarmte die Freundin. »Wir bleiben in Verbindung. Unsere Freundschaft sollte darunter nicht leiden.«
»Das wird sie nicht«, versprach Candice, und Rita verließ mit ihren persönlichen Habseligkeiten die Garderobe. Candice seufzte niedergeschlagen. Sie hätte zu gern gewußt, warum sich Rita zu diesem Schritt entschlossen hatte.
Eigentlich wußte sie sehr wenig von Rita. Über ihre Vergangenheit hatte Rita nie gesprochen. Kam sie aus der Provinz? War sie in London geboren? Lebten ihre Eltern noch? Wo hatte sie tanzen gelernt? Auf all diese Fragen gab es keine Antworten. Umgekehrt aber wußte Rita alles von Candice.
Erst heute wurde Candice das bewußt. Rita wollte immer viel wissen, verriet selbst aber sehr wenig. Warum? Was sollte diese Geheimniskrämerei? Hatte Rita irgend etwas zu verbergen?
Es klopfte. »Ja!« antwortete Candice.
»Bist du fertig?« fragte Papa Olson. »Wir sind gleich dran!«
»Ich komme in einer Minute!« rief Candice und machte sich für den Auftritt fertig,
***
Boram bewegte sich. Mir fiel es sofort auf, und ich machte Mr. Silver darauf aufmerksam. Wir begaben uns zu dem durchsichtigen Dampfgebilde. Wieder hatte ich den Eindruck, daß uns der angeschlagene weiße Vampir etwas Wichtiges mitteilen wollte. Würde es ihm endlich gelingen?
Boram kam plötzlich auf mich zu. Da mir die Wirkung seines Nesselgifts bekannt war, wich ich zur Seite. Der weiße Vampir war zwar geschwächt, ein Kontakt mit seinem Gift war aber dennoch nicht ratsam, Das ausgefranste Nebelei schwebte an mir vorbei und legte sich auf das Glas des Fensters. Die Scheibe beschlug. Gespannt trat ich näher, und im nächsten Moment stellte ich erfreut fest, daß Boram eine Möglichkeit gefunden hatte, sich uns mitzuteilen, Er »schrieb« auf die beschlagene Scheibe!
Langsam entstand der erste Buchstabe, dann der zweite . Ein Wort wuchs, aber es dauerte lange. Boram schien sehr schwach zu sein - oder müde.
Als ich das Wort las, war ich elektrisiert, WERWOLF GESEHEN.
»Er hat einen Werwolf gesehen«, sagte Mr. Silver.
»Du bist blitzgescheit«, erwiderte ich. »Darauf wäre ich allein nie gekommen,«
Der Ex-Dämon grinste. »Ich sag’s ja, ein Glück, daß du mich hast.«
»Wo hast du den Werwolf gesehen, Boram?« fragte ich die unförmige Dampfgestalt.
SOHO, schrieb Boram. Er beschränkte sich auf Schlagwörter, um Zeit und Kraft zu sparen.
NÄHE OLSONS BAR, lautete die nächste Mitteilung. WOLF VERJAGT.
»Hat er jemanden angegriffen?« wollte ich wissen, MÄDCHEN.
»Verletzte er sie?«
UNVERLETZT.
»Großartig, Boram«, sagte ich begeistert. »Wenn man bedenkt, in was für einer Verfassung du bist, und trotzdem hast du einem Mädchen das Leben gerettet, das war eine beachtliche Leistung.«
»Finde ich auch«, bestätigte Mr. Silver. »Hör mal, können wir irgend etwas für dich tun?«
WOLF.
»Du meinst, wir sollen uns um den Werwolf kümmern«, sagte Mr. Silver.
JA.
»Geht klar, Kumpel«, bemerkte Mr. Silver jovial.
»Fehlt nur noch, daß du ihm freundschaftlich auf die Schulter klopfst«, sagte ich.
»Würde ich tun, wenn ich eine Schulter sehen würde, aber er hat zur Zeit keine«, gab der Ex-Dämon zurück.
Ein Werwolf hatte in Soho also ein Mädchen überfallen, dank Borams Eingreifen blieb das Opfer glücklicherweise unverletzt. Das waren die Fakten. Es verstand sich von selbst, daß sich Mr. Silver und ich darum kümmern würden. Wir liebten sie nicht, diese blutrünstigen Raubtiere, die mordgierig loszogen und wahllos Menschen zerrissen. Wie viele Opfer sich der Wolf in Soho bereits geholt hatte, entzog sich unserer Kenntnis. Vielleicht war er erst kürzlich aufgetaucht, oder er hatte die
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