1610 01 - Der letzte Alchimist
die Papiere in seinen Schoß und verschränkte die eleganten Finger. »Master Ravaillac ist tot. Seit zwei Tagen. Er ist schweigend gestorben – zumindest was Worte betrifft.«
Seit zwei Tagen.
Entsetzen jagte mir einen Schauder über den Rücken.
Heute war in Paris der 29. Mai.
Fludd hatte gesagt: »Am 27. nach Eurem gregorianischen Kalender.«
Cecil wird das erst heute Morgen erfahren haben.
Falls Furcht mich von Kopf bis Fuß durchströmte, so fühlte ich es kaum.
Das zu sagen, war sehr, sehr dumm von Fludd gewesen, falls er nicht gewusst hätte, dass die Ereignisse ihn bestätigen würden.
Nein. Er hat einfach nur glücklich geraten. Was sonst konnte es sein?
Die Sonne machte mich benommen. Ich grub die Fingernägel in meine Handteller; selbst durch die Handschuhe hindurch brachte mich das auf die schaukelnde Barke zurück. Cecil muss sehen, dass ich erschüttert bin – nach außen hin ließ er sich das jedoch nicht anmerken. Das Deck bewegte sich unter mir, als die Ruderer sich in die Riemen legten. Die gotischen Spitzen des Whitehall-Palastes lagen vor uns zu unserer Rechten, eine große Ansammlung unterschiedlicher Gebäude und Höfe, in denen man sich leicht verirren konnte …
Cecil fuhr mit sanfter Stimme fort: »Die Folterknechte haben ihm die Haut abgezogen, und dann haben vier Pferde ihn in Stücke gerissen. Unser Gesandter berichtet, dass dieser Ravaillac sich als ungewöhnlich kräftig erwiesen hat, sodass die Pferde ihn zunächst nicht zerreißen konnten und der Henker ihm die Gelenke brechen musste. Master Ravaillac ist zwei Wochen lang befragt worden, doch er hat keinen Ton gesagt, was seinen Auftraggeber in dieser Angelegenheit betrifft.«
»Nichts?« Die Bestätigung von Fludds Prophezeiung hatte mich zwar kurz aus der Bahn geworfen, doch diese neue Information erregte meine Aufmerksamkeit. Ich konnte es kaum glauben. »Er hat gar nichts gesagt?«
»Master Ravaillac hat behauptet, allein gehandelt zu haben. Dass er König Heinrich getötet habe, weil dieser Krieg gegen den Papst habe führen wollen«, berichtete Robert Cecil trocken. »Keiner meiner Informanten glaubt, dass dies die Wahrheit ist. Es gibt viele Kandidaten in Paris: Concini und seine Frau, der Herzog von Epernon, Henriette d'Entragues Marquise von Verneuil, Vater Coton von den Jesuiten … Wie es scheint, hat man Master Ravaillac vor seinem Prozess nicht abgeschottet. Viele sind zu ihm gegangen und haben ihn ohne Zweifel unter Druck gesetzt, den Mund zu halten und keine ›guten, katholischen Männer‹ zu verleumden.«
Ich mochte ja ob des Verlustes von Ravaillac als Zeugen verzweifeln, wenn ich Zeit hatte, darüber nachzudenken; aber zunächst einmal fühlte ich Erleichterung. Wenn der Finger auf den katholischen Adel deutete, hatte Maria di Medici noch weniger Grund, sich von Messire de Sully bedroht zu fühlen! Ihr Agent in seinem Haus würde weiterhin ein Schläfer bleiben.
»Und Messire de Sully?« So sehr ich mich auch bemühte, ich konnte die Sorge in meiner Stimme nicht verbergen. »Ich weiß nicht mehr über das, was Seiner Gnaden dem Herzog widerfahren ist, als das, was ich bereits am Abend des 14. gewusst habe. Da war er geradewegs in die Bastille geflohen.«
»Nicht geradewegs.« Cecil nickte. »Fahrt fort.«
Ich erinnerte mich an Poissy und dachte: Sully hat mehr getan, als Lassels gewusst hat?
Ich konnte nicht anders, als zu fragen: »Nicht geradewegs in die Bastille?«
»Wie es aussieht, hat sich Rosny irgendwann von seinem Krankenbett erhoben und ist mit mehreren hundert Reitern zum Louvre geritten, doch er ist gewarnt worden. Man hat mir berichtet, ihm sei ein Brief mit folgendem Inhalt überreicht worden: ›Wenn Ihr den Louvre betretet, werdet Ihr genauso wenig entfliehen können wie er‹. Damit war Euer König Heinrich gemeint. So ist er dann in der Bastille gelandet, wo er die Nacht verbracht hat.«
Mir zog es die Brust zusammen. Eine Nachricht. Gott segne den Lehrjungen oder Lassels! Oder falls das nicht meine Nachricht gewesen sein sollte, dann segne Gott den Mann, der sie geschrieben hat.
Ich beherrschte mich. »Das war vor gut vierzehn Tagen. Ist er noch immer dort?«
»Rosny war …« Cecil legte eine rhetorische Pause ein. »Es ging ihm gut genug, um am nächsten Tag wieder loszureiten. Es heißt, er sei in Begleitung von dreihundert Männern zum Palast geritten, habe mit der Königin geweint und König Ludwig umarmt – entweder um sich neue Gunst zu erwerben, oder aber weil er
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