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1610 01 - Der letzte Alchimist

1610 01 - Der letzte Alchimist

Titel: 1610 01 - Der letzte Alchimist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Gentle
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vergaß, dass wir uns in einer Fechtschule befanden und dass das, was ich tat, als übelstes Benehmen in einem salle des armes galt.
    Ich begann zu kämpfen, als wollte ich sie töten.
    Schwer atmend trieb ich sie über den Boden vom Fenster bis zur Treppe des langen Raums und wieder zurück. Schüler sprangen uns aus dem Weg, duckten sich hinter die Eichenpfeiler und grölten …
    Sie feuerten Dariole an, die Schwächere.
    Die Ungerechtigkeit dessen – wieder einmal! – trieb mich dazu, all mein Können auszuspielen: Wir stießen und parierten mit Dolch und Schwert zugleich, wichen aus, hieben, droschen, duckten uns. Sie tauchte vor meinem Angriff zur Seite. Ja, auf einen Ringkampf solltest du es nicht ankommen lassen, Mädchen …
    Dabei verlor sie kurz das Gleichgewicht und tat einen Fehltritt.
    Ich schlug mit meinem gepolsterten Rapier hart genug auf ihren Unterarm, dass sie den Dolch fällen ließ. Wäre die Schneide scharf gewesen, hätte ich ihr den Arm durchtrennt. Ich grinste wölfisch ob der Spuren, die das bei ihr hinterlassen musste.
    »Blas dir doch selbst einen!«, brüllte sie und bewegte die leeren Finger.
    Ich konnte nichts weiter tun, als zu lachen und meinen Angriff fortzusetzen. Jetzt habe ich sie. Die Klingen reflektierten das Sonnenlicht vom anderen Ende des Saals. Darioles Brust hob und senkte sich. Ich habe eine Ausdauer, über die ein junger Mann – oder eine junge Frau – einfach nicht verfügt.
    Werde ich sie zur Kapitulation zwingen? Oder besser noch: Werde ich ›ihn‹ dazu zwingen zu gestehen, eine Frau zu sein, und aus diesem Grunde Gnade zu erflehen? Das wäre eine noch weit größere Demütigung, als durch meine Hand zu sterben. Doch hier kann sie nicht sterben …
    Ich hörte meine eigenen Gedanken: … kann sie nicht sterben …
    Meine Parade kam zu spät. Ihre gepolsterte Spitze streifte meine Schulter.
    Ich machte keine Riposte.
    Der Gedanke vervollständigte sich in meinem Kopf: Ich kann sie hier nicht töten – aber dafür bin ich hierher gekommen.

Rothefort: Memoiren
Siebzehn
    Es fühlte sich an, als wäre ich vom Pferd gefallen, und mir wurde die Luft aus der Lunge getrieben. Ich fing ihre Klinge mit meiner ab, drehte sie und stieß gerade zu, um sie auf dem zehnten Knopf ihres Wamses zu treffen. Sie fluchte, errötete, und … Das ist alles. Eine Wunde für ihren Stolz, sonst nichts.
    Wenn wir ungepolsterte Schwerter führen würden, hätte ich sie in diesem Augenblick getötet. Tatsächlich sind wir beide schon mehrere Male gestorben.
    Diese Erkenntnis war schockierend genug, dass ich kurz den Schrittrhythmus verlor und in einem Wirbel von Verteidigungsschlägen zurückstolperte. Ich konnte nichts weiter tun, als benommen zu denken: Wenn ich ungepolsterte Waffen hätte, um sie zu töten …
    Ich konnte den Kampf nicht länger ertragen.
    Darioles Augen funkelten, und sie hatte die Zähne zu einem breiten Grinsen gefletscht. Sie schlug nach meinem Kopf und drängte mich ohne Gnade zurück. Ich duckte mich weg. Entsetzen durchfuhr meinen Geist und meinen Körper.
    Ich habe schon viele Tote gesehen und war für mehr davon verantwortlich, als ich wissen wollte. Die Vorstellung von Dariole, die aus Brust und Mund blutete, sollte mir also keine Übelkeit bescheren.
    Ich wollte sie tot sehen. Ich wollte sie durch meine Hand getötet sehen und derart gedemütigt, dass es keine Reaktion mehr darauf geben konnte!
    Nein. Nein, das war eine Lüge. Ich wollte sie demütigen. Ich wollte, dass sie sich wünschte, tot zu sein – aber nicht kalt und starr, nicht wirklich tot.
    Wenn das ein Straßenkampf mit echten Klingen gewesen wäre …
    Wenn das ein Straßenkampf gewesen wäre, wäre mir nichts anderes übrig geblieben, als ihn zu beenden. Ich hätte meine Waffen wegwerfen und mich ihrer Gnade unterwerfen müssen.
    Bei diesem plötzlichen, lebendigen Bild in meinem Kopf versteifte es sich in meinem Unterkleid.
    Taumelnd blieb ich mitten im Raum stehen.
    Mit einem Schritt zurück war Dariole wieder von mir weg und am Rand des Sonnenscheins, wo Staub im Licht wirbelte. Ihr Gesicht blieb im Schatten verborgen, doch das von hinten kommende Licht betonte perfekt ihre Kampfhaltung: das Rapier mir entgegengestreckt, den Dolch täuschend locker in der anderen Hand und jeder Muskel voller Energie. Ihre Brust hob und senkte sich vor Erschöpfung.
    Kalt dachte ich weiter: Als wäre der erste Gedanke nicht schon schlimm genug gewesen …
    Wenn sie nicht verletzt werden kann … Nun, dann gilt

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