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1610 01 - Der letzte Alchimist

1610 01 - Der letzte Alchimist

Titel: 1610 01 - Der letzte Alchimist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Gentle
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kann, macht diesen Nachteil wieder wett. Ohne dass Dariole es sehen konnte, nahm ich eine Pistole aus dem Holster und steckte sie mir in den Gürtel, während ich die andere vor der Brust hielt, um sie ihm ins Gesicht zu halten, sobald er um das Pferd herumkam.
    Eine Pistole ist eine sichere Sache, dachte ich, wenn sie denn zündet. Mit Geschick hat das jedoch nichts zu tun.
    Ich werde nie wissen, ob ich ihn hätte schlagen können. Ich werde nur wissen, dass ich zu viel Angst gehabt habe, um es auszuprobieren.
    Und auch das war eine Demütigung.
    Eine Demütigung, die ich um der Notwendigkeit willen ertragen werde.
    Dariole kam nahe genug, sodass ich sehen konnte, wie er die Augen zum Schutz vor Sonne und Wind zusammengekniffen hatte. Er grinste. »Ist das der Punkt, an dem Ihr versuchen werdet, mich zu Boden zu strecken?«
    Ich schaute ihm über die Mähne der Stute hinweg an. »Versuchen – ja.«
    »Ich scheine jedoch nicht in allzu großer Gefahr zu schweben, nicht wahr? Auch wenn Ihr über eine ausgesprochen beeindruckende … ›Waffe‹ verfügt. Rührt sich Euer Fleisch schon wieder, Messire?«
    Sein Gesichtsausdruck war eine wundersame Mischung aus Amüsement und wissender Komplizenschaft. Ich nehme an, dass meine Wangen ein wenig Farbe bekamen; ein Mann meines Alters errötet nicht mehr wirklich.
    Der kalte Seewind blies mir ins Gesicht und brachte den Duft der Freiheit. Kurz warf ich einen Blick nach Norden, wo die St Willibrod im glitzernden Wasser lag. Von hier nach London, nach Zeebrügge, nach Skandinavien oder gar in die Neue Welt … All das war nur einen Schritt weit entfernt. Ich hatte das Gefühl, als könne es der raue Wind in meinem Haar hinwegwehen.
    Und dann sah ich, wie Darioles Stiefel auf den Sand aufsetzte. Noch einen Schritt und er hatte den Seetang erreicht, und ich würde schießen.
    Er war nicht hübsch, so viel stand fest. Seine zu weit auseinander stehenden Augen waren das Einzige, was seinem gelassenen Gesicht etwas Besonderes verlieh. Ansonsten war er vollkommen unscheinbar. Was seinem Gesicht Leben verlieh – Boshaftigkeit, Belustigung, Spott und Triumph –, war sein Lächeln. Und just in diesem Augenblick wich dieses Lächeln einem übertriebenen Ausdruck von Ernst.
    »Ich kann Euch töten, wisst Ihr, Messire Rochefort?«
    Er war gut ein Zoll gewachsen, seit ich ihn vor einem Jahr zum ersten Mal bei Zaton gesehen hatte. Sein Haar war kürzer als damals und reichte ihm nur noch knapp bis zum Kragen. Auch wenn er noch immer Babyspeck hatte, verliehen die Kampfübungen ihm eine ausgeglichene Haltung.
    Ein Mann ist so alt wie seine Taten, ermahnte ich mich selbst.
    Meines Wissens tötete Monsieur Dariole schon seit einem Jahr Männer in Duellen. Angesichts seines Könnens hatte er jedoch ohne Zweifel schon früher damit angefangen.
    Auf jeden Fall ist er alt genug, um den Preis dafür zu bezahlen, dass er sich in diese Verschwörung hat verwickeln lassen.
    Ich verlagerte mein Gewicht nach hinten, sodass ich kurz hinter der Schulter der Stute verborgen war, und überprüfte den Pistolenhahn. Dann legte ich den Finger an den Abzug, hob die Waffe und trat aus meiner Deckung.
    Er war nicht mehr da.
    Eine Sekunde lang gaffte ich staunend, dann wanderte mein Blick nach unten.
    Dariole kniete im Sand.
    Das Blut pochte mir in den Schläfen. Mir wurde erst heiß, dann kalt. Ich fühlte mich wie benommen.
    Ich zögerte.
    Zwanzig Jahre Erfahrung, und ich zögerte. Hätte er wie ich eine Pistole gehabt, er hätte mich einfach so wegblasen können.
    »Also … Also wirklich, Messire«, stotterte ich verwirrt. »Betteln habe ich nun wirklich nicht von Euch erwartet!«
    Der Junge senkte den Kopf und ignorierte mich – er ignorierte mich. Er grub mit dem Dolch im Tang und zog wild daran.
    Ist er wahnsinnig geworden?
    Ich hob die schwere Steinschlosspistole in der Absicht, sie ihm über den Schädel zu hauen.
    »Schaut Euch das an!« Er riss den Seetang heraus, den ich mir als Markierung genommen hatte … nur war das kein Tang, sondern ein Stück Seil. Er warf das schleimige Tau beiseite und grub weiter in Etwas herum, was Wrackteile oder ein totes Tier hätte sein können.
    Als er weiteren Tang entfernte, sah ich, dass es sich um einen menschlichen Körper handelte.
    »Er ist …« Der junge Mann blickte über die Schulter und hielt inne.
    Ich nehme an, dass ich zögerte, Dariole zu erschießen, weil er auf den Knien war. Jedenfalls fällt mir kein anderer Grund dafür ein. Er kniete neben dem

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