1610 02 - Kinder des Hermes
sie es nicht besser verdient, aber sie waren Menschen, und so hätte man ihnen im Tod mit ein wenig mehr Mitgefühl begegnen können. Das ist selbst in meinem Beruf üblich. Und Messire de Sully …
»Glaubt Ihr, mich mattgesetzt zu haben?«, fragte die Königin nach wie vor in sanftem Tonfall.
»Monsieur le Duc de Sully ist ein Minister, um den Euch jeder Monarch in Europa beneiden müsste.« Ich hielt ihrem Blick stand. »Es war sehr klug von Euch, Euer Majestät, ihn weiter in Euren Diensten zu belassen.«
Kurz schürzte sie die rosafarbenen Lippen.
»Der verstorbene König, Euer Gemahl, kannte Messire de Sully als offen, herausfordernd und ehrlich«, fügte ich hinzu. »Er verstand, seine Talente zu nutzen, und mit seinem Mangel an höfischen Manieren kam er gut zurecht. Ein kluger Herrscher würde fortfahren, diese Talente zu seinem eigenen Vorteil zu nutzen, Euer Majestät.«
Die Düfte von Southwark drangen in den kleinen Raum, und die Turmuhr der Pfarrkirche schlug die Stunde. Ich sah Sorge in den Augen der Königin, und ich vermutete, dass das etwas mit der Sommerhitze und der Angst vor der Pest zu tun hatte. In Frankreich hatte der Hof Paris sicher längst verlassen und war in kühlere Gefilde gezogen.
Marias Tonfall änderte sich, als sie erwiderte: »Ist das Euer Bild von Monsieur de Sully? Mit dem wahren Leben hat das ehrlich gesagt recht wenig zu tun.«
»Euer Majestät …«
»Diese Rechtschaffenheit? Diese Ehrlichkeit? Und das, obwohl er gerade erst zu Monsieur Concini gekrochen ist und ihn angefleht hat, um seine Position bei Hofe zu retten?«
Ich ließ die Hände sinken und bemühte mich, mir das Entsetzen nicht anmerken zu lassen, das ich empfand.
»›Anflehen‹?« Ich war viel zu ungläubig, als dass ich ihr noch mit dem Respekt hätte begegnen können, der einer Königin gebührt. » Concini? Diesen florentinischen Hurensohn? Um was? Nein! Messire de Sully würde so etwas niemals tun!«
Die Königin hob die Augenbrauen und zeigte sich entsetzt ob meines mangelnden Respekts. Sie wäre allerdings überzeugender gewesen, hätte sie sich das Lächeln verkneifen können. »Aber ja, Monsieur. Es ist jetzt ein, zwei Wochen her, seit das geschehen ist … dass Monsieur de Sully Monsieur Concini um dessen Freundschaft und Gunst angebettelt hat. So rasch hat Euer Herr meinen Gemahl nach dessen Tod im Stich gelassen …«
Ich wandte den Blick ab in der Hoffnung, dass sie nichts in meinem Gesicht würde lesen können. Jenseits des Fensters legte sich die staubige Sommerluft auf die Dächer und Kamine von Southwark.
»Ich kann eine Königin nicht als Lügnerin bezeichnen.« Ich drehte mich wieder zu ihr um. Wir sind allein, und schon will sie mich umbringen lassen. »Aber Euch werde ich so nennen. Messire de Sully würde höchstens zu Eurem fetten, kleinen, italienischen Abenteurer gehen, um ihm ins Gesicht zu spucken!«
Maria di Medici lächelte. Nachdenklich legte sie den Finger an die Unterlippe und schaute zu mir hinauf. »Wie ich sehe, vermag Sullys Schwarzer Hund noch immer zu beißen … Aber legt Euch erst einmal einen Maulkorb an, Monsieur, und hört mir zu. Ich will einräumen, dass es seine Familie und sein Haushalt gewesen sind, die auf dieser Geste bestanden haben. Auch ich habe schon einmal solch eine Erfahrung gemacht, als zu befürchten stand, dass jemandem all sein politischer Einfluss genommen wurde.«
Ihr war deutlich anzuhören, wie viel Freude es ihr bereitete, mich zu provozieren. Sie ist eine Frau, schwach, schutzbedürftig, und hier steht Monsieur Rochefort vor ihr und kann all seine überlegene Kraft nicht gegen sie verwenden.
Sie genießt das, sinnierte ich und nahm mich zusammen.
Sie spielte mit ihren Fingern. »Man hat mir erzählt, der Herzog habe von einer Verschwörung Villerois, d'Epernons, Concinis und des päpstlichen Nuntius Ubaldini erfahren, die Regierung untereinander aufzuteilen … die üblichen Intrigen: eine Allianz zwischen dem Papst und Spanien, eine österreichische Braut für meinen Sohn Ludwig … Der große Plan meines Gemahls wäre damit so gut wie aufgegeben …«
»Um so weniger Grund für Messire de Sully, zu Concini zu gehen!«
Die Königin strich ihren Rock glatt. Sie lächelte noch immer. »Wie es scheint, hat Monsieur de Sullys Familie kein Wort von dieser Verschwörung geglaubt. Er hat mit seiner Frau, seinem Sohn und seinen Freunden darüber gesprochen.« Sie blickte unter ihren langen goldenen Wimpern zu mir auf. »Sie konnten
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