1610 02 - Kinder des Hermes
Sehr gut, Monsieur de Rochefort.« Cecils Blick zuckte kurz an mir vorbei zu James Stuart, als wolle er sich vergewissern, dass der Mann noch gesund und lebendig war. »Das ist irgendeine Bösartigkeit, die man in Spanien ausgeheckt hat.«
Der Jesuit versteifte sich. Die kleine Gruppe seiner Gefährten – zwei weitere Priester, der spanische Gesandte und dessen Diener – rückte näher zusammen, als könnten sie sich so vor der Feindseligkeit der Menge verstecken.
»Selbst wenn dem so wäre«, sagte der Priester, »ist dieser Mann trotzdem ein Mörder. Wir haben Beweise dafür.«
Er winkte, ohne hinter sich zu schauen. Der jüngste der Jesuiten drehte sich daraufhin um und zog einen Mann nach vorn.
Ich riss die Augen auf, und ich glaube, mir klappte die Kinnlade herunter.
Gabriel Santon blickte mir in die Augen.
Der ältere Jesuit sagte: »Dieser Mann hier war bis vor ein, zwei Monaten der Diener von Valentin Rochefort. Er hat Beweise dafür, dass Valentin Rochefort ein Mörder ist.«
Gabriels Gesicht war schmaler als bei unserer letzten Begegnung, doch er humpelte nicht, stand auch nicht unbeholfen da, und auch hatte er noch Hände und Augen.
Trotz des Sonnenscheins der letzten Wochen war seine Haut weiß. Gefängnisblässe.
»Gabriel!«, sagte ich.
Er funkelte mich an. Angst, Wut und Verachtung, all das lag in diesem einen Blick. Auf Französisch sagte er zu dem Jesuiten: »Ja, Vater, das ist der Mann.« Und auf Soldatenenglisch an Cecil gewandt: »Das ist er, Mylord.«
Der Jesuit klang selbstgefällig. »Sein Diener kennt ihn.«
Robert Cecil reagierte nicht im Mindesten auf Santon. An den Priester gewandt erkundigte er sich – rhetorisch, wie ich glaubte: »Warum sollte ich den Worten eines Dieners Glauben schenken?«
Gabriel Santon blickte zu dem Priester, als suche er dessen Zustimmung, dann deutete er auf mich. »Zieht ihm das Wams aus«, sagte er mit rauer Stimme und auf Französisch, wovon ich sicher war, dass die Menge es nicht verstand. »Schneidet sein Hemd auf – an der Schulter.«
»Gabriel!« Ich konnte nichts anderes tun, als stehen zu bleiben, wo ich war.
Ich weiß nicht, warum ich über den Verrat so überrascht war – nur dass mir aufgefallen ist, dass die Leute stets überrascht sind, wenn es sie selbst betrifft. Warum sollte ich also in dieser Hinsicht anders sein?
Überdies war es in diesem Fall ja noch nicht einmal Verrat. Ich hatte ihn verjagt. Ich hatte ihn geschlagen. Ich war verantwortlich dafür, dass man ihn im Chatelet eingesperrt hatte. Zwar hatte ich nicht die Absicht gehabt – ich hatte ihm seine Freiheit geben wollen –, doch das war egal: Ich hatte trotzdem all das getan.
Gabriel Santon trat vor. »Sire, lasst mich es tun.«
Seine Stimme, so heiser sie auch war, brachte die Erinnerung an all das zurück, was ich einst als mein wirkliches Leben betrachtet hatte – mein Leben, wie es vor drei Monaten gewesen war: Paris, Duelle, Messire le Duc, und Gabriel, der sich um mein Essen kümmerte, meine Kleider und all die anderen leiblichen Bedürfnisse. Gabriel Santon, der mich nun mit kaltem Hass anstarrte und mich weder Sieur noch Raoul nannte, wie er es seit unserer gemeinsamen Zeit in den Vereinigten Provinzen getan hatte.
Widerstandslos ließ ich ihn den Ärmel von meinem Wams knöpfen. Ich blickte über seinen Kopf hinweg zu Cecil.
»Wird er etwas finden, Monsieur?«, fragte Cecil.
Hinter ihm runzelte der König die Stirn. Ich wagte es gar nicht erst, zu Maria di Medici zu blicken … ganz zu schweigen davon, dass ich nach Mademoiselle Dariole Ausschau gehalten hätte.
»Ja«, gab ich zu.
Gabriels grobes Gesicht zeigte keinerlei Spuren; die Folgen meiner Schläge waren längst verheilt. Allerdings vermutete ich, dass er mir die Zeit im Chatelet weitaus übler nahm als die Prügel. Er atmete schwer und packte mit der einen Hand den Ärmel, mit der anderen mein Wams an der Schulter.
»Das war nicht nötig«, sagte ich und schaute zu ihm hinunter.
Zur Antwort zerriss er den Stoff. Das Geräusch durchbrach die Stille, die um uns herum herrschte. Erfahren, wie sie waren, blickten Robert Cecil und der Jesuitenpriester dorthin, wo ich erwartet hatte.
Das Brandzeichen war alt, die Narbe weiß auf weißer Haut, aber noch immer gut zu sehen.
Unnötigerweise sagte der triumphierende Jesuit: »Er muss nicht extra vor Gericht gestellt werden. Er ist schon einmal wegen eines Kapitalverbrechens mit der Lilie gebrandmarkt worden. Nun hat er ein zweites Vergehen
Weitere Kostenlose Bücher