1610 02 - Kinder des Hermes
stumm an.
»Ihr werdet heiraten«, fuhr ich fort, »und wenn schon keinen jungen Mann, der Euch so liebt, wie Ihr es verdient, so doch einen, der Euch so gut liebt, wie er kann. Mademoiselle, glaubt mir …«
»Er wird mich nicht heiraten!«, unterbrach sie mich.
»Dariole …«
»Und Ihr auch nicht.« Mühelos stand sie auf. Sie blickte auf mich hinunter, einen seltsamen Ausdruck auf dem Gesicht. »Er wird es nicht tun. Ihr werdet es nicht tun. Ihr könnt es nicht tun. Ich bin bereits verheiratet. Oder warum sonst glaubt Ihr wohl, bin ich mit vierzehn von zu Hause weggelaufen?«
»Erzählt mir alles!«, verlangte ich.
Dariole legte die Hände hinter den Rücken, wirkte so mehr denn je wie ein Junge und schüttelte den Kopf. Sie hatte ihre Waffen im Wachtraum abgeben müssen, ansonsten hätte ich mich angesichts ihres trotzigen Gesichtsausdruck so gedreht, dass ich sie notfalls hätte packen können.
Ich stand auf, wodurch ich sie wieder überragte, was mir auch ein Gefühl moralischer Überlegenheit gab – zumindest ansatzweise.
»Mademoiselle … In dem Augenblick, da ich der Königin und Regentin von Frankreich gegenüberstehen werde, der Gesellschaft Jesu und einem Robert Fludd, der vielleicht noch immer jede meiner zukünftigen Handlungen vorherzusagen vermag: Wie kann ich da sicher sein? Glaubt Ihr, dass ich mich angesichts dessen von Euch aus der Fassung bringen lassen würde?«
Ich erwartete Tränen oder zumindest Wut, weil ich so mit ihr umsprang.
Stattdessen legte sie nur die Hände auf den Mund und prustete offenbar amüsiert.
»Mademoiselle!«
Sie beherrschte sich wieder. »Ich werde es Euch erzählen … wenn Ihr mir erzählt, weshalb Ihr das bekommen habt.«
›Das‹ war offenbar die alte weiße Narbe auf meiner Schulter, die nun wieder unter meinem Ärmel verborgen war.
»Das geht Euch nichts an, Mademoiselle.«
Ich glaubte, dass sie es darauf anlegen würde, dass sie zumindest versuchen würde, irgendeinen Handel mit mir abzuschließen: ihr Geheimnis für meines.
Verheiratet!, dachte ich. Als ich gegen sie gekämpft, als ich sie für einen jungen Mann gehalten habe, war sie … verheiratet.
Mir war eigentlich gar nicht klar, warum ich diese Tatsache als so beunruhigend empfand; ich tat es jedenfalls.
»Es ist mein Cousin, Philippe.« Dariole sprach offen. Sie schaute sich um, suchte sich einen von der Sonne gewärmten Platz im Stroh und setzte sich.
Sie legte den Kopf zurück, um zu mir hinaufzuschauen, und fügte hinzu: »Nicht mein Lieblingscousin, Sebastien. Er ist schon etwas älter, und ihn mag ich fast genauso sehr wie meine Brüder. Philippe war schon immer ein Lügner.«
»Das ist nicht gerade eine Empfehlung für einen Ehemann, Mademoiselle.«
Darioles Lachen war genau das, worauf ich gehofft hatte.
Schweigend kniete ich mich neben sie, damit sie sich nicht mehr so verrenken musste, wenn sie mich ansehen wollte. Sie hob die Hand und strich mir eine Haarsträhne aus den Augen, als hätte sie keine Ahnung, wie mein Fleisch auf ihre Berührung reagierte.
»Sebastien ist wie Ihr. Er mag junge Männer – obwohl er es vorzieht, wenn sie Schwänze haben«, fügte sie hinzu. »Philippe … hat immer viel geweint. Als Kinder haben wir immer miteinander gerauft, und er hat geschrien wie ein Bullenkalb. Ich glaube, meine Tante wollte mich als Ehe mann und ihn als Ehe frau! Ich hätte die Matriarchin dieser Familie werden können …«
»Mit vierzehn verheiratet?«, hakte ich nach. So ungewöhnlich war das nicht.
»Mama ist tot, und Papa hört auf meine Tante.« Sie hob die Schultern. »Philippe hat mir nie etwas angetan. Die Ehe ist noch nicht einmal vollzogen worden. Ich bin weggelaufen, bevor er aufgewacht ist. Später habe ich dann herausgefunden, dass meine Brüder gewusst haben, wohin ich gelaufen bin, und sie haben mich beschützt. So bin ich dann nach Paris gekommen. Dort haben meine Brüder keinerlei Einfluss mehr.«
Brutal sagte ich: »Ich habe geglaubt, dass Ihr vielleicht früher schon einmal vergewaltigt worden seid: von einem Vater, einem Onkel, einem Priester oder von einem dieser Brüder, von denen Ihr immer geredet habt. Dass Ihr einfach von daheim und Eurem Vater davongelaufen seid, weil Ihr es so gewollt habt …«
Das Lachen verschwand aus ihrem Gesicht. »Wollt Ihr mir damit etwa sagen, es sei alles meine Schuld? Dass ich vergewaltigt worden bin, weil ich …«
»Nein«, unterbrach ich sie nüchtern. »Ich habe Euch zu einer Geisel gemacht, die Fludd
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