1610 02 - Kinder des Hermes
bei uns im Kloster. So habe auch ich gelernt, eine Schwangerschaft bei einer Frau zu erkennen.«
Ich erwartete, dass Dariole in Tränen ausbrechen würde. Stattdessen spürte ich jedoch, wie ihre Muskeln unter meinen Händen erschlafften, und ein stummes Seufzen ging durch ihren Körper.
Die alte Italienerin legte die Hände auf den Tisch und stemmte sich in die Höhe. »Aber was die andere Sache betrifft … Schande! Mein Valentin!«
Sie streckte beide Hände nach Dariole aus.
» Cielo , aber du genießt das Spiel viel zu sehr, kleine Signorina, viel zu sehr, um ihm nicht davon zu erzählen!«
Was das zu bedeuten hatte, verstand ich zunächst nicht. Mademoiselle de Montargis de la Roncière stieg das Blut in die Wangen. »Nein, das tue ich nicht.«
Dariole ergriff die Hände der Nonne. Caterinas Hände waren kleiner und nicht mit alten weißen Narben bedeckt. Wenn man sie zusammen sah, hätte man keine von beiden als weiblich identifizieren können.
»Na gut.« Dariole sprach wie ein Mann, der über ein großes Geschäft nachdenkt. »Aber nicht so sehr wie er.«
» Ostrega! Männer!«
Die Atmosphäre zwischen den beiden Frauen entspannte sich sichtlich. Zwar verstand ich nicht warum, aber auch mir wurde leichter zumute.
»Verzeihung«, sagte ich, »aber ich fühle mich zwischen den Damen ein wenig fehl am Platz; daher würde ich es sehr begrüßen, mich entfernen zu dürfen.«
Die beiden lachten.
Dariole lacht, dachte ich. Und sie hat sogar die Schamesröte im Gesicht.
»Nein, nein, bleib. Bleib!« Suor Caterina winkte mich auf die gleiche Art zu einem Hocker, wie eine Bauersfrau die Hühner in den Stall lockt. Ich setzte mich so würdevoll, wie es einem Mann in dieser Situation möglich ist.
»Ihr habt mir ja gar nicht gesagt, dass diese Frau verrückt ist.« Dariole ließ die Nonne wieder los, setzte sich gerade hin und stützte die Ellbogen auf den Tisch.
»Ihr legt das Verhalten eines Jünglings im Schankraum an den Tag«, tadelte ich sie instinktiv.
Der Blick, den sie mir zuwarf, ließ mich wünschen, ich könnte die Worte wieder hinunterschlucken. Rochefort, der Narr!, schalt ich mich selbst.
Ich habe Euch hierher geführt, weil ich glaube, dass nur eine Frau Euch über die Vergewaltigung hinwegtrösten kann, und jetzt … Und jetzt seid Ihr nicht schwanger, und Ihr seid glücklich, und irgendetwas geschieht zwischen Euch, das ich nicht verstehe. Und was mache ich? Ich bringe Euch vor eben dieser Frau in Verlegenheit …
»Ich weiß, was Ihr wollt«, sagte Dariole, als könne sie meine Gedanken genauso gut lesen wie Robert Fludd. »Ihr wollt mich zusammenbrechen und in ihrem Schoß weinen sehen. Wenn Frauen weinen, wisst Ihr, was zu tun ist. Aber das werde ich nicht tun.« Trotzig blickte sie zu Caterina. »Nicht wahr, Signora?«
»Ich bezweifele es, mein Kind.«
Dariole verschränkte die Arme vor der Brust, und ich dachte an den Frauenkörper in ihren Männerkleidern – ich konnte einfach nicht anders.
»Frauen finden Frieden in ihren Tränen«, erwiderte ich stur. »Und Suor Caterina, dieses Mädchen hier vergießt nicht eine einzige.«
»Lass mich raten: Sie spricht nicht über das, was ihr widerfahren ist, verlangt aber Rache dafür und will den oder die Männer töten, die dafür verantwortlich sind, richtig?« Auf mein Nicken hin richtete Suor Caterina den Blick ihrer strahlenden Augen wieder auf Dariole. »Du hast gelernt, in jeder Hinsicht ein Mann zu sein.«
Ich wollte etwas sagen, hielt mich dann jedoch zurück. Was ich auch sagen würde, ob ›So benimmt sich keinesfalls ein Mann!‹ oder ›Aber sie ist eine Frau!‹, ich würde Ärger bekommen.
»Ich werde dich nicht zwingen zu weinen. Ostrega! Warum sollte ich auch?« Dariole verzog das Gesicht, und Suor Caterina lachte auf. Das Sonnenlicht spiegelte sich in ihrem geflochtenen silbernen Haar. Sie strich einige Strähnen zurück und setzte sich dann langsam und vorsichtig auf die Bank neben Dariole. Anschließend zog sie ein Blatt Papier aus dem Stapel auf dem Tisch. »Hier ist, was du brauchst.«
Dariole beugte sich vor und runzelte die Stirn. »Was soll das sein? Irgendetwas, um mich zum Heulen und Jammern zu bringen?«
Caterina schüttelte den Kopf. »Nein. Nachdem Roberto dich entführt hat, habe ich die Wahrscheinlichkeit berechnet, dass du ihm wieder entkommst. Hier, hier und hier unten siehst du die Schlussfolgerung, zu der ich gekommen bin.« Nach einer kurzen Pause hob sie den Kopf. »Du sprichst kein
Weitere Kostenlose Bücher