1610 02 - Kinder des Hermes
einmal.
»Und was, wenn es gelingt, dass James überlebt?«
»Dann wirst du länger leben. Aber gestatte mir ein Wort der Warnung: Du kannst nicht jedes Duell gewinnen, das du kämpfen willst. Das kann niemand.«
Dariole verschränkte wieder die Arme vor der Brust und nickte scharf in meine Richtung. »Und was ist mit ihm? Wann stirbt Messire?«
»Wenn man an Verlegenheit sterben kann«, warf ich ein, »bin ich schon seit gut einer halben Stunde tot, Mademoiselle.«
Suor Caterina erwies mir die Freundlichkeit zu lachen. Dariole funkelte mich an.
»Er hat mich nicht danach gefragt«, antwortete die alte Italienerin.
Dariole blickte zu mir. »Feigling. Aber hey, das ist ja nichts Neues, nicht wahr?«
Mir stieg das Blut in die Wangen. Ich wusste, wo dieser Spott seinen Ursprung hatte. Warum fiel mir nie eine passende Erwiderung ein?
Bedächtig wandte ich mich an Caterina: »Lasst sie mich ruhig beleidigen, wenn sie sich dann besser fühlt. Schwester, ich verspüre nicht den geringsten Wunsch, meinen Todestag zu erfahren, selbst wenn er irgendwo in Euren Papieren verzeichnet sein sollte.«
»Das wäre auch ein Paradox«, räumte Suor Caterina ein. »In dem Glauben, nicht früher sterben zu können, würdest du womöglich immer tollkühner werden. Oder du könntest glauben, so vorsichtig sein zu müssen, dass du dich irgendwann aus Langeweile erhängst.«
»Da ist mir ein wenig zu viel ›vielleicht, womöglich‹«, sagte ich grimmig und tippte auf die Papiere auf dem Tisch. »Fludd redet immer so, als gäbe es keinen Raum für Fehler, und angesichts dessen, was ich bisher erlebt habe, warum sollte ich ihm da nicht glauben?«
Caterina deutete auf Dariole. »Wegen ihr.«
Dariole hob die Brauen, stellte einen Fuß auf die Bank und schlang die Arme ums Knie.
»Was ist mit Mademoiselle Dariole, Schwester?«
Die alte Italienerin legte die Hände auf die Papiere vor sich. »Ich wünschte, ich könnte es dir verständlich machen. Noch nicht einmal alle von Maestro Brunos Studenten vermochten es zu verstehen, und sie stammten aus den besten Akademien Europas …«
»… und waren keine Straßenschläger«, vervollständigte Mademoiselle Dariole den Satz. Sie schaute mich nicht an, als sie das sagte. Ich glaube, ihr war gar nicht klar, dass sie mit diesem Satz zum ersten Mal anerkannte, dass sie und ich vom gleichen Schlag waren – jedenfalls in gewisser Hinsicht.
»Das da verstehen wir wirklich nicht.« Dariole deutete auf die Papiere. »Was ist mit mir, Signora?«
»Das hier«, Suor Caterina nahm ein Blatt zur Hand, »ist die zwingende Ereigniskette, die zu deiner Befreiung hat führen müssen. Und das hier«, sie griff nach einer anderen Seite, » Ostrega! Das ist all jenes, was geschehen musste, damit du dich selbst rettest! Du hast den Signore Samurai doch ganz allein gefunden, nicht wahr?«
»Ich habe Arbella Stuart gefunden«, korrigierte Dariole die alte Frau in gleichmütigem Tonfall.
»Ah, ja? Ah … Hier. Das ist eine winzige Möglichkeit, nicht mehr als ein Blinzeln im Auge Gottes! Und was den Rest betrifft … Die Wahrscheinlichkeit ist schier unendlich klein! Hier rettest du Signore Tanaka, sodass er in deiner Schuld steht. Hier hängt alles ganz und gar von deiner eigenen Stärke ab, und hier …«
Caterina fuhr mit dem Finger über eine Gleichung.
»… Hier stirbst du an Wundfieber. Hier leidest du anschließend unter einer tiefen Melancholie, monatelang, und hier begehst du sogar die Todsünde des Selbstmords. Und schau hier: Hier kommst du zu dem Schluss, dass du dich besser auf die Seite von Maestro Fludd schlagen solltest, da er dir ja so leicht hat wehtun können. Hier wirst du sein Schwert, wie Valentin das Schwert des Duc de Sully ist.«
Ich errötete bei diesen Worten. Keine der beiden Frauen blickte in meine Richtung.
»Für ihn arbeiten?«
»So manch ein Gewaltmensch betet die Macht förmlich an.« Caterina stocherte mit dem Finger in den Papieren herum und suchte nach den geeigneten Worten. »Es gibt Menschen, die voller Ehrfurcht vor jenen erstarren, die noch brutaler sind als sie. Gütiger Gott, du hättest tatsächlich Robertos Dienerin werden können! Und wenn das schon nicht wahrscheinlich war, denk mal über Folgendes nach, Signorina: Die Chance, dass du dich selbst befreist, war nur ein Hundertstel so groß. Und ich weiß sehr gut, dass der Londoner Meister schon Ersteres wird ausgeschlossen haben. Über die zweite Möglichkeit hat er wohl noch nicht einmal
Weitere Kostenlose Bücher