1610 02 - Kinder des Hermes
eines haben wollte, hätte ich es nicht zerbrochen.«
In diesem Augenblick wusste ich mit Sicherheit: Ja, ich habe das Richtige getan.
Ich drehte mich um und humpelte zum Zelteingang zurück. Dariole gab ein Geräusch von sich – vermutlich aus unterdrückter Wut, vielleicht war sie aber auch überrascht, dass ich einfach so zu gehen schien. An der Zeltklappe angelangt, stützte ich mich auf meinen Stock und beugte mich hinunter.
Dann zog ich das in ein Tuch gewickelte Bündel hinein, das ich an die Zeltwand gelehnt hatte, und richtete mich wieder auf.
Das war nicht, was Dariole erwartet hatte; das war ihr deutlich anzusehen. So unwahrscheinlich es aufgrund meiner Verletzung auch sein mochte, sie hatte wohl damit gerechnet, dass ich wimmernd vor ihr auf die Knie fallen würde. Aber hätte ich das getan, hätte ich es nur für mich gemacht.
»Ich denke, die gehören Euch, Mademoiselle.« Ich beugte mich vor und schüttete den Inhalt des Bündels auf dem Boden zu ihren Füßen aus.
Leder und Stahl. Ein Gürtel mitsamt Wehrgehänge. Scheiden, glänzende Hefte und Knäufe …
Dariole zögerte keine Sekunde. Sie hockte sich hin, griff sofort nach dem Rapier und zog es mit einer fließenden Bewegung aus der Scheide.
Das blankpolierte, mit Draht umwickelte Heft sah seltsam in ihren bloßen Händen aus. Sie hob die Klinge und blickte prüfend die Schneide entlang. Dann beäugte sie jeden Kratzer und jede Scharte, die von früheren Gefechten herrührten.
»Das ist mein Schwert.« Sie griff nach dem Dolch und zückte auch ihn. »Mein Dolch …«
Sie hob den Kopf und starrte mich an.
»Ich habe sie aus London mitgebracht.« Plötzlich fühlte ich mich so schüchtern wie ein Junge. »Am Dead Man's Place gab es keine Möglichkeit, die Waffen sicher unterzubringen.«
Elegant stand sie auf.
Dariole hob den Kopf und ging in Position. Das Sonnenlicht, das durch die offene Zeltklappe fiel, spiegelte sich auf der Klinge und ließ dunkle Flecken vor meinen Augen tanzen. Dariole hob den Dolch vor ihre Augen. »Habt Ihr die geputzt?«
»Eine gute Klinge ist es wert, in gutem Zustand gehalten zu werden.«
»Ihr wollt doch nur meine Schwertspitze an Eurer Kehle, um …«
Ich unterbrach sie: »Ich gebe Euch Euer Eigentum als Waffe zurück, nicht als Instrument meiner … meiner Perversion oder Kasteiung.«
Dariole blickte mir noch einmal in die Augen und bückte sich dann nach den Scheiden, um die Waffen wieder zurückzustecken. Zwei Monate zuvor hätte sie mich in einem Augenblick wie diesem beleidigt. Seltsamerweise vermisste ich ihren Spott. Mag sie mich ruhig nennen, wie sie will … solange das die Kälte bricht, in die sie sich gehüllt hat …
Mit äußerster Konzentration schnallte sie zunächst den Gürtel um und befestigte dann das Schwertgehänge daran. Mit ein paar Schritten über den mit allem möglichen Plunder bedeckten Boden überprüfte sie, ob die Scheiden richtig hingen; dann stellte sie sich fehlerlos hin.
Darioles Hand wanderte über ihren Körper zum Heft des Schwertes, und sie schob den Zeigefinger durch den Fingerring. Die Klinge fuhr heraus, die Spitze auf den Zelteingang gerichtet.
Ohne mich anzusehen, sagte Dariole: »Und Ihr erwartet von mir, dass ich sie wieder benutze? Obwohl ich weiß, wie nutzlos sie sind?«
Sie sprach in beißendem Tonfall, doch ich sah den verlorenen Ausdruck in ihrem Gesicht.
Vielleicht war es unklug, doch eine Bemerkung konnte ich mir nicht verkneifen: »Sicherlich kann niemand behaupten, dass Ihr ein übertriebenes Maß an Dankbarkeit zeigt, Mademoiselle …«
Dariole wirbelte zu mir herum. »Für was sollte ich denn bitte dankbar sein? Ihr seid schuld, dass ich vergewaltigt worden bin. Das hier sind meine Waffen. Ihr gebt sie mir nicht, Rochefort. Ihr gebt sie mir nur zurück. Und danke für die Entschuldigung – aber das waren nur Worte. Gottverdammt noch mal, Ihr seid ja noch schlimmer als Fludd!«
Sie sprach den Namen fast ›Furada‹ aus, was mich daran erinnerte, wie viel Zeit sie in Gesellschaft des Samurai verbracht hatte. Wäre ich jemand gewesen, der zu törichten Wünschen neigte, so hätte ich mir gewünscht, genauso nützlich für sie zu sein, wie Saburo es gewesen war.
Aber ich werde meine Entscheidung nicht bereuen, dachte ich. So ignorierte ich ihren Zorn und sagte: »Mademoiselle, ich könnte mir vorstellen, dass man Heinrich Stuart, den jungen Prinzen, nach seiner Ankunft davon überzeugen könnte, Robert Fludd zu sich hierher zu rufen – sei
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