1610 02 - Kinder des Hermes
mit Mühe gelang es mir, den Kopf zu heben und sie anzuschauen. »Ihr besitzt einen scharfen Verstand, Mademoiselle. Ihr hättet es zumindest vermutet. Vergebt mir, dass ich nicht gesprochen habe.«
Sie löste eine Hand aus meinem Griff.
In diesem Augenblick wurde mir bewusst, wie angespannt ich in Erwartung des Schlages war, der nun unweigerlich folgen musste. Dennoch hob ich nicht die Hand, um mein Gesicht zu schützen.
Dariole streichelte mir über die Wange.
»Dariole …« Mehr brachte ich nicht heraus.
»Messire.« Sie nahm die warme Hand wieder weg und rieb sie gedankenverloren an ihrer Hose für den Fall, dass Theaterschminke daran haften geblieben war. Diese unbefangene, jungenhafte Geste versetzte mir einen Stich ins Herz, und ihr Bild verschwamm vor meinen Augen.
»Weint nicht, Messire.«
Ein Mann weint nicht.
»Ich bitte Euch um Verzeihung«, brachte ich mühsam hervor. Meine Stimme zitterte. Ich, der ich schon Königen und Ministern gegenüber gestanden hatte … »Ich bin so weibisch wie meine Kluft.«
Mein Herz pumpte das Blut so heftig durch meinen Leib, dass ich Mühe hatte, mich zu beherrschen.
»Fleht mich an«, sagte Dariole mit einem schwachen Grinsen.
»Dariole!«
»Fleht mich an.«
Das absurde Verlangen, das sich in meinem Fleisch ausbreitete, der unbändige Drang, mich ihr zu Füßen zu warfen … Sie musste es in meinem Gesicht gesehen haben. Meine Haut brannte wie Feuer.
»Es beschämt mich, Euch solche Perversion aufzuzwingen.« Ich vermochte ihr noch immer nicht ins Gesicht zu blicken. »Ich bin ehrlich nicht in der Lage, Euch dafür um Vergebung anzuflehen.«
»Dann lasst es«, sagte Dariole. »Es gefällt mir. Ich mag es, dass ich Euch auf die Knie zwingen und spritzen lassen kann. Ich wünschte nur, Ihr würdet das nicht ›pervers‹ nennen.«
Erstaunt starrte ich sie mit offenem Mund an.
»Habt Ihr das nicht gewusst?«
»Mademoiselle, ich … Nein!«
»Warum glaubt Ihr wohl, habe ich in Paris immer wieder den Kampf mit Euch gesucht?«
Ich errötete. »Bitte, verzeiht mir die kleine Eitelkeit, die mir noch geblieben ist. Ich habe geglaubt, das hätte an meinem Ruf als Fechter gelegen.«
»Oh, ja. Oder zumindest wärt Ihr ohne diesen Ruf nicht solch ein stolzer Hurensohn gewesen.« Sie zog die Mundwinkel nach oben. »Töten wollte ich Euch nie, Messire – abgesehen von den zehn Minuten, da Ihr mich bei Zaton so vollgesaut habt.«
»Ich habe Euch wohl unterschätzt«, gestand ich. »Oder vielmehr: Ich habe die Eitelkeit einer jungen Frau unterschätzt, deren Kleider man in aller Öffentlichkeit versaut.«
Nun kicherte sie nur über jenen Teil von mir, der sich nichts sehnlicher wünschte, als dass sie mir den Fuß in den Nacken drückte.
»Der Tod wäre viel zu gut für Euch gewesen, Messire«, sagte sie. Dann verblasste ihr Lächeln, und sie erklärte in ruhigem Ton: »Ich wollte Euch nicht töten, Messire. Aber ich wollte Euch vor mir auf die Knie zwingen. Ich wollte, dass Ihr mich anfleht … um was war eigentlich egal … um Gnade vermutlich, wenn ich jetzt darüber nachdenke. Nur habe ich damals nicht viel gedacht.«
Ich sah ein Maß an Zuneigung in ihren Augen, das mich entsetzte.
»Ich dachte, ich würde Euch verderben«, gestand ich.
»Wenn ich ›verdorben‹ bin, dann ist das schon lange vor Eurem Erscheinen geschehen! Ihr habt es nur ans Licht gebracht.«
»Ihr solltet nicht …«, begann ich.
»Ich sollte nicht was?«, hakte sie nach, als es mir nicht gelang, meine Gedanken zu sammeln.
Ihr solltet nicht pervers sein, dachte ich, war aber klug genug, es nicht laut auszusprechen.
»Ich flehe Euch an«, sagte ich. »Ich werfe mich Euch zu Füßen, Mademoiselle. Es ist absurd, dennoch liege ich vor Euch auf den Knien, wie Ihr es wünscht, und … und demütig flehe ich Euch um Gnade an. Rochefort fleht Euch an, Mademoiselle.«
Ihr Lächeln war sanft, und ihre Augen strahlten. Mir schnürte es die Kehle zu.
»Ich verzeihe Euch«, sagte sie. »Darum habt Ihr doch gebeten, nicht wahr, Messire?«
»Mir verzeihen? Für was?«, platzte ich wie ein unreifer Jüngling heraus.
Dariole blickte über die Schulter zum Höhleneingang, und ich sah, dass sie darauf lauschte, wie weit das Bankett schon fortgeschritten war. Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich nicht, nur dass der Ernst inzwischen von einer gewissen Wärme durchdrungen wurde.
»Weil Ihr es zugelassen habt, dass man mich als Geisel missbraucht, und für alles, was danach geschehen ist.« Ihr
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