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1610 Teil 1 - Der letzte Alchimist

1610 Teil 1 - Der letzte Alchimist

Titel: 1610 Teil 1 - Der letzte Alchimist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Gentle
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zu mir.
    Langsam erkannte ich, dass das kein Teil des Spiels vor ihren Theaterfreunden war. Ich vermochte ihren Ausdruck nicht zu deuten. Echte Verlegenheit ließ mich förmlich in mich zusammenfallen.
    »Dariole …«
    »Oh, macht, dass Ihr hier wegkommt!« Sie nahm die Klinge weg.
    Jeder Finger meiner Hand zitterte, als wäre es ein echtes Duell gewesen.
    Meine Knie bebten. Die Anstrengung, mich vom Boden zu erheben, ließ mich taumeln und beinahe wieder fallen. Ich schickte mich an, zu meinen echten Waffen zu gehen.
    »Nein. Lasst die. Ich werdemich um sie kümmern. Nur, damit Ihr nichts vergesst, Messire.«
    Ich schnappte mir meine Stiefel und stolperte vornüber gebeugt aus dem Saal.
    Dem wilden Grölen der Schauspieler schenkte ich keinerlei Aufmerksamkeit. Dass ich ohne Waffen und in Strümpfen auf der Straße stand, bemerkte ich zunächst noch nicht einmal.
    Wie hatte ich so etwas nur tun können?
    Eine derart widerwärtige Fantasie durchzuspielen und dann auch noch in der Öffentlichkeit … Wie konnte ich mich nur derart in Verlegenheit bringen?
    Die Erleichterung darüber, dass es nicht noch schlimmer gekommen war – dass ich meine Hose nicht durchnässt hatte –, wich rasch der Scham. Ich stand in Socken auf der staubigen Erde, und der warme Wind wehte die Gerüche von Southwark zu mir heran. Mein Herz hämmerte in meiner Brust, und mein Gesicht brannte. Eintausend Goldlouisdor hätten mich nicht dazu bewegen können, noch einmal in die Fechtschule zurückzukehren.
    Aber das sollte ich.
    Ich hatte das Gefühl, als würde ich aus einem tiefen Schlaf oder einer Trance erwachen. Mein Kopf wurde wieder klar. Ich rieb mir über das Gesicht und wischte den Schweiß ab.
    Ich sollte wieder zurückgehen. Ich schuldete ihr eine echte Entschuldigung – mehr als eine Entschuldigung. Schließlich war ich es gewesen, der sie dazu ermutigt hatte, das zu tun, der sie zu jedem einzelnen Wort und jeder Tat förmlich gedrängt hatte.
    Meine eigene Stimme hallte in meinem Geist wider. Mademoiselle, bitte.
    Meine Knie und meine Eier schmerzten und zwar beide aus demselben perversen Grund. Ich wollte mich ihr zu Füßen werfen.
    So jemand – so etwas wiemich konnte man nur verachten.
    Es war vielleicht eine Stunde später, kurz nach ein Uhr, als Dariole in unser Quartier am Dead Man's Place zurückkehrte.
    Ich stand von dem Steigblock auf, auf dem ich gesessen und auf sie gewartet hatte. Sie blieb mitten auf der Straße stehen und hob das Kinn, als ich auf sie zukam.
    Sie hatte mein Schwert und meinen Dolch in ihren Scheiden dabei und hielt sie zusammen mit dem Wehrgehänge in der linken Hand. Stumm hielt sie sie mir hin.
    Ich fragte: »Warum?«
    Sie hob die Schultern. »Wenn ich Euch darum betteln lassen würde, würdet Ihr das nur genießen.«
    »Dariole …!«
    »Ich habe aber doch Recht, oder? Schande lässt Euch steif werden.«
    Ist das wirklich so einfach?, fragte ich mich hilflos und blickte zu ihr hinunter. Du …
    Zum Schutz vor der Sonne kniff sie die Augen zusammen. Sie hatte Staub auf Haar und Kleidern, den feinen, goldenen Staub von London nach einem Tag ohne Regen. Die Samtkappe hatte sie auf eine Art zurechtgerückt, die jedem englischen Höfling sofort verriet, Franzose!, und vermutlich auch jedem Southwarkbettler von Robert Fludd.
    Sie hakte nach: »Habe ich nicht Recht?«
    Ich nahm meine Waffen und legte das Wehrgehänge an.
    »Ich weiß nicht, wie ich es Euch sagen soll, Mademoiselle.«
    Ich schaute sie nicht an, während ich gestand.
    »Ich schäme mich. Ich schäme mich wirklich und nicht so … nicht so, wie Ihr mich gerade gesehen habt.«
    »Ach nein?« Sie betrachtete mich mit weitaus mehr Gleichmut, als mir lieb war.
    »Ich hätte Euch nie in das alles verwickeln sollen!« Ich hob die Hand, um ihrem Protest zuvorzukommen. »Ich weiß: Ihr seid Eurer eigenen dummen Laune gefolgt … Aber was den Teil der Verantwortung betrifft, dir mir obliegt … Mademoiselle Dariole, es tut mir Leid.«
    Natürlich konnte es am Licht liegen, dass sie weiter die Augen zusammenkniff, aber auch an ihrer Verwirrung oder ihrem Misstrauen. »Entschuldigt IhrEuch gerade?«
    Ihr Ton rührte mich kurz zu einem schmerzhaften Lächeln. »Nun … Ja, Mademoiselle. Ich nehme an, das kann man als Entschuldigung gelten lassen.«
    »Es geht Euch nicht gut.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust, und ich sah, dass sie bereits Weinflecken an den Ellbogen hatte. Mit einem seltsamen Unterton in der Stimme sagte sie:

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