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1610 Teil 1 - Der letzte Alchimist

1610 Teil 1 - Der letzte Alchimist

Titel: 1610 Teil 1 - Der letzte Alchimist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Gentle
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die Stiefel zu küssen?«
    Ich wandte den Blick ab und schaute in die kleinen Schatten der Mittagssonne und zu den Menschen und Tieren auf der unsere Gasse kreuzenden Banksidestraße. Ich holte mein Taschentuch heraus und wischte mir über die Stirn. Dariole beobachtete mich mit leuchtenden Augen, schien aber keinerlei Groll gegen mich zu hegen.
    Ich bemühte mich, meine Stimme ruhig und ernst zu halten. »Ich würde Euch nicht anbetteln, Mademoiselle – ich würde Euch anflehen. Und in der nächsten Minute würde ich vermutlich meine Hose beschmutzen. Man kann mir nicht vertrauen.«
    Ich schaute mir die Frau zum ersten Mal richtig an – das hatte ich bisher nie getan, nicht bei Zaton und auch nicht später. Ich schaute sie mir mit dem normalen, fehlbaren Urteilsvermögen eines klar denkenden Menschen an. Sie war teils Narr, teils ungestümer Junge und teils warmherziges Mädchen, und ich war nichts – nichts! –, womit sie etwas zu tun haben sollte.
    Sie fragte: »Messire, widere ich Euch an?«
    Wenn es nicht der Schreck war, der mich zur Ehrlichkeit bewegte, weiß ich es nicht. »Ja«, antwortete ich. »Ein wenig.«
    »Weil ich mich wie ein Mann kleide.«
    »Weil …« Mein Gesicht wurde noch heißer. »Weil Ihr angewidert sein solltet. Ihr solltet entsetzt sein! Wo ist Eure weibliche Sittsamkeit, Mademoiselle? Warum seid Ihr so?«
    Ihre Hand berührte das Heft des Schwertes, doch war das keine bedrohliche Geste, sondern schien eher zur Beruhigung gedacht. »Ich bin nicht angewidert. Es gefällt mir. Und Ihr verdient es. So, wie ich bin, bin ich glücklich, Messire.«
    Ich konnte nicht anders, als den Kopf zu schütteln. Wie tief gehen die Gefühle eines sechzehnjährigen Jungen, geschweige denn einer flatterhaften jungen Frau?
    »Wir müssen nicht weiter darüber reden«, sagte ich, um sie zu beruhigen. »Ihr werdet nicht mehr … belästigt werden. Es tut mir Leid, dass ich noch mit Euch über andere Dinge reden muss, aber sie werden immer wichtiger.«
    »Robert Fludd«, sagte sie und sprach den englischen Namen mit französischem ›r‹ aus. »Schaut mich nicht so überrascht an, Messire. Messire Saburo hat mich gebeten, ihm Euren Brief vorzulesen – Euren Brief an Robert Cecil.«
    »Saburo hat Euch um was gebeten?«
    »Der Samurai kann nicht gut Englisch lesen.« Sie grinste. »Ich aber schon.«
    In meinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Ich konnte mich kaum genug sammeln, um zu denken: Gütiger Gott, der Samurai hat das vielleicht sogar für vernünftig gehalten …
    Mit einer unschuldigen Fröhlichkeit, die mir das Herz zerriss, verlangte Dariole zu wissen: »Nun denn. Was geschieht jetzt?«
    Ich hielt kurz inne. Ich hatte noch nicht einmal daran gedacht, dass sie mir Fragen stellen könnte.
    Jedem Narren wäre das klar gewesen.
    »Jeder Narr außer diesem hier«, sagte ich laut und verneigte mich leicht, als sie mich verwirrt anschaute. »Mademoiselle Dariole. Also schön. Wir stecken in England in genauso großen Schwierigkeiten wie in Frankreich, und alles in allem betrachtet, ziehe ich die Gefahr vor, Euch darüber zu informieren, als dass ich Euch der Gefahr aussetzen möchte, nichts zu wissen …«
    Ich schaute mich um. In Paris hatte sich schon manch einer auf der Straße oder in seinem Quartier sicher gefühlt, während ein anderer ihn belauscht hat. »Was die Frage betrifft, wo wir sicher darüber reden können …«
    »Ich weiß schon!«
    Sie grinste wie ein Junge und hob die Hand, um zu den reetgedeckten Dächern zu deuten. An einem Flaggenmast sah ich gut zwei Straßen entfernt eine Standarte.
    Das typische Zeichen für ein Schauspielhaus.

Rochefort: Memoiren
Achtzehn
    » Was?« Ich hörte selbst, wie lächerlich verwirrt ich klang.
    Dariole lachte. »Wir werden ins Schauspielhaus gehen! Ich habe ohnehin versprochen, im ›The Rose‹ vorbeizuschauen und mir anzusehen, was sie gerade aufführen. Denkt nach, Messire! Was auch immer wir in einem Schauspielhaus sagen mögen, jeder wird annehmen, wir würden uns nur über ein anderes Stück unterhalten, das wir gesehen haben. Sie führen ständig Stücke über den Mord an Königen auf.«
    Ich schaute sie an und verneigte mich dann so respektvoll vor ihr, wie ich es noch nie getan hatte. »Das ist … angemessen bizarr. Ihr solltet besser Messire Saburo holen, falls er schon wieder zurück sein sollte. Wie lange dauert es noch, bis Eure Freunde mit dem Stück beginnen?«
    Sie hob das Kinn und blinzelte kurz zur Sonne hinauf.

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