1610 Teil 1 - Der letzte Alchimist
zu einem ausgewachsenen Geschrei an. Dariole spie Nussschalen in ihre Hand. »Seht Ihr? Ich habe es Euch doch gesagt.«
Hinter mir stimmten vier, fünf Galane etwas an, das sie ›Cheapside Komödie‹ nannten, während zu meiner Linken ein Mann mir einem anderen über die Wirksamkeit von Stierblut im Vergleich zu Schweineblut debattierte, welches die Schauspieler benutzten, um tödliche Wunden darzustellen.
»Ja, Ihr hattet Recht, Mademoiselle.«
Sie schaute mich nur an. Unerwarteterweise empfand ich ihr Schweigen nicht als angenehm.
Unten auf der Bühne kämpften ein paar Schauspieler tapfer mit dem Prolog. Männer und Frauen strömten in das Rund, riefen ihren Freunden zu, kreischten vor Lachen, und der allgemeine Lärmpegel nahm nicht ab. Allerdings erwartete ich das auch nicht in diesem barbarischen England, wo ein Theaterstück einfach nur der Unterhaltung dient. Saburo beugte sich zum Geländer vor und starrte auf die Bühne, die aus der Rückwand ragte, und zu den Pfeilern, die ein Bühnendach hielten, auf das die unterschiedlichsten Sternenkonstellationen gemalt waren. Widder, Zwillinge und ihre Gefährten schienen dringend der Überholung zu bedürfen. Ich machte ein Zeichen, um Saburos Aufmerksamkeit zu erregen.
»Was mich betrifft, so habe ich genug von astrologischen Konstellationen, egal in welchem Zusammenhang.« Ich sprach leise genug, dass wir keine Aufmerksamkeit erregten, aber auch nicht flüsternd, um uns nicht geheimnisvoll erscheinen zu lassen. »Wie es aussieht, sind wir alle in diese Angelegenheit hineingezogen worden. Deshalb sollten wir uns beraten – obwohl das meiner Überzeugung ein wenig zuwiderläuft, wie ich gestehen muss.«
Dariole legte vorsichtig eine Haselnussschale auf ihren Zeigefinger, schnippte sie mit dem Daumen weg und traf einen Hut unten im Rund. »So … Was spricht dagegen, den König einfach hier in London umzubringen?«
Unglauben ließ mich ihr harsch antworten: »Das ist nicht mein Hof. Ich habe hier weder Informanten noch Spione. Vor fünf Jahren hat es schon einmal eine große Verschwörung gegen sein Leben gegeben, für die alle Beteiligten entweder im Tower einsitzen oder dem Henkersbeil überantwortet worden sind. Außerdem werde ich jetzt von Messire Cecil beobachtet!«
Ich schloss die Hand um das Geländer vor mir, bis das Holz knarrte. »Ich habe diesen König getroffen. Er ist so feige wie eine Frau. Er trägt Stahl auf der Haut und schläft des Nachts immer in verschiedenen Gemächern, und zieht ein Mann in seiner Gegenwart ein Schwert, macht er sich in die Hose.«
Ich bemerkte, dass ich ein wenig lauter geworden war. Darioles Grinsen ließ mich kurz innehalten.
»Das ist lächerlich«, fuhr ich schließlich fort. »Es hat auch mehrere Anschläge auf das Leben der großen Elisabeth gegeben, und alle sind sie gescheitert.«
»Der Anschlag auf König Heinrich ist jedoch geglückt.« Darioles Augen funkelten, als wüsste sie, wie tief sie mich damit traf. Hätte ich die Zeit gehabt, so hätte ich mich gefragt, woher diese plötzliche Bösartigkeit kam.
»So unbeliebt er auch sein mag, die Engländer werden selbst diesen König nicht ermorden lassen. In diesem Land ist noch nie solch ein Anschlag geglückt.« Und um es ihr heimzuzahlen, fügte ich hinzu: »Ihr solltet das wissen, Mademoiselle. Vor nicht allzu vielen Jahren war ein Markham an solch einem Anschlag beteiligt.«
»›Monsieur‹, nicht ›Mademoiselle‹.« Sie zog die klar definierten Augenbrauen herunter. »Aber doch nicht Vetter Guillaume?«
»Ein Mann mit Namen Griffin Markham. Ist er mit Euch verwandt?«
»Vetter Guillaume hat noch einige Brüder.« Sie zuckte mit den Schultern, schwieg und blickte nachdenklich drein.
Vielleicht hat sie ja doch einen Sinn für Familienehre, sinnierte ich. Das wäre … eine Ironie.
Saburo beugte sich vor und sagte an Dariole vorbei zu mir: »Ich schulde Euch noch giri für mein Leben. Vielleicht werde ich bald Gelegenheit haben, Euch zu helfen, Roshfu-san. Lasst mich den Kopf dieses Rubuta Furada nehmen.«
Ich blinzelte und lächelte dann reumütig. »Ich denke, damit würdet Ihr die Gunst des Herrn Ministers verlieren, was Eure Mission beim König erheblich erschweren würde.«
Er grunzte; ich glaubte vor Abscheu. Oder vielleicht war es auch Dankbarkeit, weil ich ihn von seiner Pflicht entband – aber wer wusste das schon.
Unten auf der Bühne begann der Hauptteil des Stückes. Zwei weitere Schauspieler kamen heraus und erzählten uns,
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